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Fachkräftemangel

Alles was Sie zum „Fachkräftemangel“ wissen müssen

Fachkräftemangel? Arbeitskräftemangel? Recruiting-Problem? Branchen-Phänomen? Die wichtigsten Fakten und Definitionen auf einen Blick.

Was ist Fachkräftemangel?

Zwar fehlt eine einheitliche Definition, aber wir sprechen immer dann von Fachkräftemangel, wenn der Bedarf an qualifizierten Bewerbern in einem Berufsfeld oder für eine bestimmte Stelle die Anzahl der Interessenten langfristig übertrifft. Wichtig ist der Aspekt der Dauer. Ein kurzfristiger Personalengpass ist noch kein Fachkräftemangel. Wie lang Bewerber fehlen müssen, ist nicht einheitlich festgelegt. Dabei kann sich der Fachkräftemangel auf einzelne Berufe und ganze Branchen beziehen.

Ein Mismatch am Arbeitsmarkt oder eine Mismatch-Arbeitslosigkeit hängt eng mit dem Fachkräftemangel zusammen. Das Phänomen tritt auf, wenn arbeitslose Fachkräfte nicht die Stellen suchen, die vakant sind. So gibt das BA an, dass nur etwa ein Viertel der arbeitslos gemeldeten Fachkräfte, Experten oder Spezialisten eine Anstellung in einem Engpassberuf anstrebt. Sowohl mangelndes Interesse als auch fehlende Qualifikationen zählen zu den Gründen. Mit einer guten Employee Experience, einer lebensphasenorientierten Personalarbeit sowie attraktiven Benefits steigern Sie die Attraktivität Ihrer eigenen Arbeitsplätze – ein perfektes Match.

Weshalb ist es für Personaler wichtig, sich mit dem Thema Fachkräftemangel zu beschäftigen?

Das ist eine berechtigte Frage, denn wenn es sich um ein strukturelles Problem handelt, ist der erste Gedanke, dass Handlungen auf Unternehmensebene wenig bewirken können. Allerdings sollten Personaler die Rahmenbedingungen genau kennen, unter denen sie Recruiting und Personalentwicklung betreiben. Denn zu wenig Fachkräfte heißt ja nicht gar keine. Es gilt für Unternehmen daher, nach Möglichkeit eben nicht diejenigen zu sein, die am Ende leer ausgehen. Manche Personalabteilungen verstecken sich aber gerne hinter dem Argument "wir haben halt Fachkräftemangel", auch wenn im konkreten Fall das Problem vielleicht eher selbstverschuldet ist. Etwa durch eine unattraktive Arbeitsumgebung, altbackenes Recruiting, ein pauschales Ausschließen ganzer Bewerbergruppen (absichtlich oder nicht) oder einfach nicht marktgerechte Vergütung. Auch nicht zu vergessen, je mehr Stellen man zu besetzen hat, etwa aufgrund hoher Fluktuation, je weniger Zeit hat man für jede einzelne davon. Vorhandene Fachkräfte zu halten ist daher ein erster Schritt, um im Recruiting einen besseren Job machen zu können.

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Sich also selbstkritisch mit der Situation auseinanderzusetzen, und auch zu hinterfragen, ob es wirklich ein strukturelles Problem bei den gerade schwer zu besetzenden Stellen gibt, ist essentiell. Dann können Maßnahmen entwickelt werden, um einem Missverhältnis zwischen Jobangeboten und Bewerbungen etwas entgegenzusetzen. Sie erkennen Eintrittshürden bestimmter, interessanter Personengruppen auf den Arbeitsmarkt. So gelingt es vielleicht, sich mit einer besseren Employee Experience und ausdifferenzierten Weiterbildungsangeboten Arbeits- und künftige Fachkräfte zu erschließen, die auf den ersten Blick übersehen werden. Außerdem kann der Fachkräftemangel selbstverständlich nicht die Antwort auf jede nicht besetzte Stelle sein. Sich mit dem Thema zu beschäftigen, trägt auch dazu bei, eigene Defizite in der Personalarbeit zu erkennen und sich dank dieses Wissens besser aufzustellen.

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Ist der Fachkräftemangel eine Lüge?

Stimmen wie Simon Jäger machten in letzter Zeit mit Thesen von sich reden, es gebe keinen Fachkräftemangel. Der Arbeitsmarktexperte geht von einer sehr großen stillen Reserve aus, die sich mit geeigneten Maßnahmen für den Arbeitsmarkt gewinnen ließe. Hier kommen die Arbeitgeber ins Spiel: weniger Hürden bei der Aufstockung von Teilzeitstellen, eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, flexiblere Arbeitszeiten – auf der Mikroebene können Unternehmen dem Fachkräftemangel durchaus etwas entgegensetzen.

Simon Jäger führt dazu aus: „Wir haben jetzt gerade eine Rekordbeschäftigung in Deutschland. Es arbeiten so viele Menschen wie noch nie - circa 46 Millionen Menschen. Zudem sind die jüngeren Jahrgänge tendenziell besser ausgebildet als diejenigen, die in Rente gehen. Gleichzeitig aber sind die Löhne real stark gefallen - um 5,7 Prozent im vergangenen Jahr. Und das passt nicht zu der These, dass der Faktor Arbeit gerade extrem knapp geworden ist.

Ich denke vielmehr, dass der Wettbewerb am Arbeitsmarkt zugenommen hat. Bewerberinnen und Bewerber reagieren viel stärker auf Unterschiede in der Lohnhöhe und bei den Arbeitsbedingungen. Sie haben teilweise durch die Pandemie, beispielsweise im Bereich der Gastronomie oder an Flughäfen ihre Arbeitsplätze verlassen und woanders Tätigkeiten gefunden, die vielleicht besser entlohnt sind oder angenehmere Arbeitszeiten haben. Und deswegen ruckelt es gerade etwas.“ In einer aktuellen Studie gewichten die Befragten Maßnahmen gegen Fachkräftemangel, die beim Arbeitgeber direkt ansetzen, deutlich höher als strukturelle Eingriffe.

Umfrage Was hilft gegen Fachkräftemangel
Quelle: Infratest dimap für den ARD DeutschlandTREND 2023
Dennoch ist der Fachkräftemangel keine Lüge, sondern auf struktureller Ebene leider nicht von der Hand zu weisen. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung prognostiziert, dass wir im Jahr 2035 in Deutschland sieben Millionen Fachkräfte zu wenig haben werden. Es steckt also ein reales, mit Zahlen belegtes Problem hinter den Schwierigkeiten der Unternehmen, Stellen zu besetzen. Da viele Vorannahmen, beispielsweise die Definition der Mangelberufe, in Statistiken und Vorhersagen einfließen, kursieren verschiedene Zahlen. Insofern gilt es, den Kontext von Erhebungen zu beachten, wenn man Zahlen zum Fachkräftemangel heranzieht. Wichtig ist zudem, zwischen Fach- und Arbeitskräftemangel zu unterscheiden.

Was versteht man unter einer Fachkraft?

Eine Fachkraft ist eine Person mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung – von der Softwareadministratorin über den Handwerker bis zur Pflegekraft. Davon zu unterscheiden sind ungelernte Arbeitskräfte. Das können beispielsweise Saison- und Sortierarbeiter, Logistik- und Lagermitarbeiter, Produktionslinien-Bedienerinnen, Küchenhilfen, Fast-Food-Servicekräfte sowie Überwachungs- und Reinigungspersonal sein. Auch sie fehlen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einem Arbeitskräftemangel.

Wie wirkt sich der Fachkräftemangel auf den Wirtschaftsstandort Deutschland aus?

In Deutschland fehlen Fachkräfte in vielen Berufen und Branchen. Das BMWK gibt an, dass 352 von 801 Berufsgruppen von Fachkräftemangel betroffen sind. In 44 Prozent aller Berufsgruppen in Deutschland herrscht also Fachkräftemangel. Da sich der Arbeitsmarkt dynamisch entwickelt, müssen die Zahlen immer wieder neu ermittelt werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht derzeit von 1,7 Millionen offenen Stellen aus. Die Statistik differenziert allerdings nicht zwischen Fach- und Arbeitskräften.

IAB-Stellenerhebung
https://iab.de/das-iab/befragungen/iab-stellenerhebung/

Der Fachkräftemangel stellt ein gravierendes Risiko für die deutsche Wirtschaft dar. Unternehmen sehen ihr Geschäft erheblich gefährdet. In einer aktuellen Studie landet er hinter den Energie- und Rohstoffpreisen auf Platz 2. Mit 58 Prozent sehen mehr als die Hälfte der Befragten den Fachkräftemangel als große Gefahr. Zu einem gewissen Grad ist dies aber auch ein selbstverschuldetes Problem. So bewirkt beispielsweise der nach wie vor mangelnde Digitalisierungsgrad eine hohe Abhängigkeit von manueller Arbeit.

Im aktuellen Fachkräftereport der DIHK nennen 60 Prozent der befragten Unternehmen die Mehrbelastung der Belegschaft, fast genauso viel die steigenden Arbeitskosten als wesentliche Folgen des Fachkräftemangels. Personaler sollten die Mehrbelastung ihrer Mitarbeitenden durch die angespannte Arbeitsmarktsituation ernstnehmen und im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagement verschiedene Maßnahmen ergreifen, um die Resilienz ihrer Mitarbeitenden zu stärken. Sorgen Sie für eine gute Work-Life-Balance.

In dem Bericht heißt es weiter: „Die Einschränkung ihres Angebots und den Verlust von Aufträgen erwarten vier von zehn Unternehmen. Dies hat negative Effekte auch auf nachgelagerte Branchen und Wertschöpfungsketten bis hin zum Endkunden, da Leistungen nicht wie gewünscht in Anspruch genommen werden können.

Der Verlust von Investitions-, Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie (teilweise) Verlagerungen ins Ausland sind besonders in der Industrie Folgen des Fachkräftemangels. Dies schwächt die deutsche Industrie neben u.a. hohen Energiekosten zusätzlich und gefährdet die Entwicklung in wichtigen Zukunftsfeldern.“[1]

Welche Branchen und Berufe sind besonders vom Fachkräftemangel betroffen?

Engpässe sind vor allem in Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufen, in Bau- und Handwerksberufen oder auch in IT-Berufen auszumachen. Zahlreiche Berufsfelder weisen Fachkräftelücken auf, wie eine Grafik des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zeigt. Dagegen gibt es zum Beispiel in Büroberufen, in der Lagerlogistik oder auch in künstlerisch-kreativen Berufen vergleichsweise viele Arbeitslose auf wenige gemeldete Stellen. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit)

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Laut BA ist bereits jeder sechste Beruf ein Engpassberuf. So das Ergebnis der jährlichen Fachkräfteengpassanalyse. Viel Beschäftigte fehlen beispielsweise in Pflegeberufen, in der Kinderbetreuung und auf dem Bau. Wir haben zu wenig medizinische Fachangestellte und Kfz-Techniker. An Spezialistinnen und Experten mangelt es beispielsweise an Apothekern und Architekten und in der IT. Als neue Engpassberufe hat das BA den Hotel- und Gastronomieservice, Facharbeiter im Metallbau und Busfahrer aufgenommen. Weitere Bereiche können hinzukommen. Hier nennt das BA unter anderem Bürokaufleute und Lageristen.

Die BA führt jedes Jahr eine Engpassanalyse durch, um ein genaues Bild der Fachkräftesituation zu ermitteln „Die Analyse zielt darauf ab, bundesweite Engpässe nach Berufen zu identifizieren. Neben einer rein technisch-statistischen Analyse wird die Situation zusätzlich (berufs-)fachlich bewertet und unter Hinzuziehung weiterer Daten und Informationen in einen Gesamtkontext eingeordnet. Die Analyse bildet somit eine objektive, datenbasierte und nachvollziehbare Grundlage zur Beschreibung der Engpasssituation in Deutschland. Die Analyse geht lediglich auf die aktuelle Situation ein. Sie stellt keine Prognose für die zukünftige Entwicklung dar. Es werden auch keine Quantifizierungen vorgenommen, die den Umfang des Mangels als absolute Zahl an ‚fehlenden‘ Arbeitskräften ausdrücken.“[1]

Besonders schmerzhaft, da system- und unternehmenskritisch, ist der Mangel im IT-Sektor. Der Bitkom spricht von einem „Rekord-Fachkräftemangel“ und führt 149.000 unbesetzte IT-Jobs an. Drei Viertel der befragten Unternehmen erwarten eine weitere Zuspitzung der Situation. Die Stellen bleiben im Schnitt knapp acht Monate vakant.

Grafik UNternehmen fehlen 149.000 Fachkräfte
Quelle: Bitkom

Generell sieht es in den MINT-Berufen nicht rosig aus, da die Zahl der Studierenden zurückgeht. Zwar waren im Wintersemester 2022/2023 rund 1,08 Millionen Studierende an deutschen Hochschulen in MINT-Fächern eingeschrieben, doch ist die Zahl rückläufig. Das ist besonders dramatisch, weil sowohl für die digitale als auch für die Nachhaltigkeitstransformation Fachkräfte dieser Studienrichtungen dringend gebraucht werden.

Insgesamt sind Arbeitgeber gefordert, die Potenziale einer langfristigen Personalentwicklung auszuschöpfen. Denn die Situation wird eher schwieriger als besser werden. Neben viel Fantasie bei der Besetzung vakanter Stellen, beispielsweise indem Sie Quereinsteigern eine Chance geben, sollten Sie auch Ihre Aus- und Weiterbildungsprogramme überdenken. Für viele Mangelberufe – etwa im MINT-Bereich – bieten sich duale Studiengänge als Königsweg an. Empfehlenswert sind auch Kooperationen vor Ort mit Arbeitgeberverbänden, der IHK, Universitäten, Fachhochschulen und weiteren Bildungseinrichtungen. Weder die Wirtschaft noch die Politik können den Fachkräftemangel allein beheben, aber gemeinsam entstehen neue Perspektiven.

Welche weiteren Faktoren zum Fachkräftemangel sollten Sie kennen?

Es gibt regionale Unterschiede, vor allem zwischen den Flächenländern und den Stadtstaaten. Während es in Bayern rechnerisch gesehen weniger arbeitslose Fachkräfte als gemeldete Stellen gibt, treffen in Hamburg oder Berlin im Schnitt gut drei bis fünf arbeitslose Fachkräfte auf eine gemeldete Stelle. (Quelle: Bundesagentur für Arbeit). Gerade junge Leute bevorzugen häufig die Ballungsräume, und da sie meist mehr als genug Jobangebote haben, gibt es keine Notwendigkeit für sie, zur einem „hidden champion“ in die süddeutsche Provinz zu ziehen. Sie haben sich im Unternehmen bisher vergeblich für den Ausbau von Remote-Work starkgemacht und sind an den Dinosauriern in den eigenen Reihen gescheitert, die gerne alles beim Alten lassen wollen? An diesen Zahlen werden auch ihre Kolleginnen und Kollegen nicht vorbeikommen. Nutzen Sie die Chance.

Bei offenen Stellen wird zwischen Lauf- und Vakanzzeit unterschieden. „Während die Laufzeit der angebotenen Arbeitsstellen die Zeitspanne zwischen Meldung und ‚Erledigung‘ durch Vermittlung, anderweitige Besetzung oder Stornierung umfasst, ist die Vakanzzeit nur die Zeitspanne ab dem gewünschten Besetzungstermin (bis zum Abgang aus dem Bestand). Volkswirtschaftlich kritisch ist allein die Vakanzzeit, denn sie signalisiert, dass eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht genutzt wird und damit Wertschöpfung bzw. Einkommen und staatliche Einnahmen verloren gehen. Im Idealfall wird eine Arbeitsstelle besetzt, bevor sie vakant wird. Eine lange Laufzeit kann sogar erwünscht sein, wenn durch frühzeitige, ggf. deshalb auch längere Suche, die Vakanzzeit vermieden bzw. minimiert wird.“[3] Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Sie Kapazitätslücken frühzeitig erkennen und es gar nicht erst zu Vakanzen kommen lassen. Betrachten Sie den gesamten Personallebenszyklus ganzheitlich und entwickeln Sie frühzeitig Lösungen, um Qualifikations- und Kapazitätslücken gar nicht erst entstehen zu lassen.

Was sind die Ursachen für Fachkräftemangel?

Eine Vielzahl von Faktoren wirken sich auf den Arbeitsmarkt aus. Neben gesellschaftlichen Entwicklungen tragen auch im engeren Sinne wirtschaftliche Gründe zum Fachkräftemangel bei. So sind viele Menschen nicht bereit, - beispielsweise in der Pflege –unter schwierigen Bedingungen für ein aus ihrer Sicht zu niedriges Gehalt zu arbeiten. Außerdem sind immer weniger Menschen gewillt, unattraktive Arbeitszeiten oder physische und psychische Belastungen auf sich zu nehmen. Es lohnt sich also darüber nachzudenken, ob man die eigenen Strukturen und Prozesse nicht flexibler und weniger belastend gestalten kann.

Wir haben nicht nur zu wenig Fachkräfte, wir bilden auch zu wenige aus. Ein Mangel an Kandidaten für Ausbildungen in Engpassberufen geht dem Fachkräftemangel voran. Daher setzen Berufsverbände, IHKs und so weiter bei der Ausbildung an und versuchen mit verschiedenen Aktionen, jungen Menschen für diese Berufe zu gewinnen. Prüfen Sie regelmäßig, ob Ihr Azubi-Recruiting noch up-to-date ist und ob sie junge Arbeitnehmer, die vielzitierte Gen-Z, tatsächlich erreichen.

Ein weiterer Faktor ist die hohe Teilzeitquote. Sie intensiviert den Arbeitskräftemangel. Die Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen betrug im Jahr 2021 durchschnittlich 35,3 Stunden. Der EU-Durchschnitt liegt bei 37,4 Stunden. Wir haben die vierthöchste Teilzeitquote in der EU. Allerdings würden viele Arbeitnehmerinnen gerne mehr arbeiten, scheitern aber an starren Arbeitszeitmodellen. Wenn Sie als Arbeitgeber in dieser Hinsicht flexibler werden und Ihren Mitarbeitenden individuelle Möglichkeiten bieten, Erwerbstätigkeit und Care-Arbeit unter einen Hut zu bringen, können Sie das Vollzeitäquivalent der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte erhöhen, sogar ohne Neueinstellungen.

Zudem beeinflusst der demografische Wandel den Arbeitsmarkt. So ist eine Überalterung bei den MINT-Berufen festzustellen: Im Jahr 2021 lag der Anteil der über 55-Jährigen bei knapp einem Viertel. Vor zehn Jahren waren lediglich 17 Prozent älter als 55. Auch Pflegekräfte werden immer älter: Waren 2012 noch 15 Prozent 55 plus, sind es 2021 bereits 23 Prozent. Auch in vielen anderen Berufen zeigt sich die Alterung der Gesellschaft. Themen wie lebenslanges Lernen und Diversität gewinnen an Bedeutung. Gefragt ist vor allem ein Perspektivwechsel: Erkennen Sie das Potenzial Ihrer älteren Mitarbeitenden und sorgen Sie dafür, dass sie sich wohlfühlen. Schließlich bringen sie jede Menge Erfahrung ein.

Auf der anderen Seite der Employee Journey liegt das Erwerbseintrittsalter. Es steigt kontinuierlich. Mitte der 2000er Jahre absolvierten rund 45 Prozent der 20- bis 24-Jährigen eine Ausbildung, ein Studium oder ein vergleichbares Bildungsprogramm. Rund zehn Jahre später waren es bereits 54 Prozent. Mehr als die Hälfte der fast Mitte 20-Jährigen standen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Der Eintritt in den Arbeitsmarkt verschiebt sich immer weiter nach hinten. Das gilt auch für andere europäische Länder, ist aber in Deutschland besonders ausgeprägt. Nehmen Sie frühzeitig Kontakt mit Studierenden und Absolventen auf, um sie ans Unternehmen zu binden. Vom dualen Studium bis zur Werkstudentin bieten sich viele Möglichkeiten, junge Menschen zu rekrutieren.

Um den Fachkräftemangel zu verstehen und als Arbeitgeber zu reagieren, gilt es, den allgemeinen Kulturwandel zu bedenken. Arbeitnehmer legen ihren Schwerpunkt nicht mehr einseitig auf den Beruf, sondern räumen auch Familie und Privatlebern einen hohen Stellenwert ein und fordern mehr räumliche und zeitliche Flexibilität. Besonders jüngere Menschen streben nach einem für sie sinnstiftenden Beruf und geben sich nicht mit dem reinen Gelderwerb zufrieden. All diese Faktoren führen dazu, dass das Arbeitsvolumen pro Erwerbstätigem abnimmt. Mehr Menschen erledigen die Arbeit, die früher von weniger Menschen geleistet wurde. Allerdings wollen Menschen vielfach nicht weniger, sondern anders arbeiten. Personalverantwortliche, die das begriffen haben, können in Employer Branding und Recruiting gezielt auf die veränderten Bedürfnisse eingehen.

Was können Arbeitgeber gegen den Fachkräftemangel tun?

Zu den Strategien gegen Fachkräftemangel zählen, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, Menschen zu qualifizieren und umzuschulen, Löhne und Gehälter in Mangelberufen zu erhöhen, Arbeit – wenn möglich – zu flexibilisieren und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen. Laut Prof. Norbert Schneider, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demografie und früherer Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, brauchen wir eine neue Vorstellung von Arbeitszeitorganisation. „Die muss viel flüssiger und flexibler werden. Es darf nicht karriereschädigend sein, wenn jemand sagt, ich muss jetzt mal zwei Jahre zu Hause bleiben, weil ich mich um die Familie kümmern muss. Insofern würde ich den 18-Jährigen sagen: Seid bereit, lebenslang zu lernen! Seid bereit für einen Berufswechsel – derzeit nehmen 4 % der Erwerbstätigen pro Jahr einen Wechsel des Berufsfeldes vor, das wird zunehmen. Seid also offen dafür, das ist nichts Katastrophales, sondern möglicherweise etwas Notwendiges.“[4]

Wenn Unternehmen statt Voll-, Halb- oder Teilzeit „präferenzgerechte Arbeitszeiten“ anbieten, steigen ihre Erfolgsaussichten als Arbeitgeber. Damit ist gemeint, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst definieren, wie viele Stunden sie in der Woche arbeiten können oder wollen, also keine starre 40- oder 20-Stunden-Woche. Schätzungen gehen davon aus, dass sich so 1,4 Millionen Vollzeitäquivalente schaffen ließen.

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