Persönlichkeitsstrukturanalyse und Persönlichkeitstest
Von HR HEUTE-Redaktion · 6 Minuten Lesezeit
Risiken in der Personalauswahl minimieren – wie Sie durch Eignungsdiagnostik Ihre Kandidat:innen künftig noch zielgerichteter evaluieren!
Immer mehr HRler interessiert, was Bewerberinnen und Bewerber im Arbeitsalltag wirklich können. Was im Zeugnis oder auf dem Zertifikat steht, wird hingegen zunehmend unwichtiger. Die neue Offenheit scheint sich für Kandidatinnen und Kandidaten mit ungeraden Lebensläufen aufzutun. Kompetenzen und Fähigkeiten werden zukünftig wichtiger als Formal- und Ausbildungsqualifikationen. Das sind Ergebnisse aus der Studie „Hybrid HR“, welche die Personalwirtschaft im vergangenen Jahr gemeinsam mit Empleox und weiteren Experten durchgeführt hat.
Welche Soft Skills jemand hat, wie gut der sogenannte Cultural Fit ist und ob Mensch und Aufgabe zusammenpassen, können Unternehmen mit Persönlichkeitsstrukturanalysen und Persönlichkeitstests herausfinden. Die Bedeutung digitaler Tools zur Kompetenzerfassung bereits im Recruiting-Prozess hat zuletzt stark zugenommen. Die Studie „Future Skills“ des Stifterverbands und McKinsey von 2018 schätzt, dass in Zukunft jedes vierte Unternehmen digitale Auswahltests und -spiele in Personalauswahlverfahren integrieren wird, um Kandidatinnen und Kandidaten besser einschätzen zu können. In Großunternehmen würden dann jährlich rund 280.000 Einstellungen testgestützt vorgenommen.
Der Lebenslauf ist eine Sache, die Persönlichkeit eine andere
Der Vorteil solcher Analysen ist, dass Unternehmen teure Fehler bei der Personalauswahl reduzieren. Laut der „Delveo.de-Studie“ der IUBH von 2017 ist nur ein Drittel der befragten Fach- und Führungskräfte für ihren Job wirklich geeignet. Der Großteil wäre auf einer anderen Position oder in einer anderen Rolle deutlich besser aufgehoben. Wer seine Fähigkeiten im Job nicht voll einsetzen kann, wird über kurz oder lang unzufrieden und kündigt. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup beziffert in der Gallup-Studie 2019 die Kosten für die deutsche Wirtschaft durch Produktivitätseinbußen unzufriedener Mitarbeitende auf mindestens 80 Milliarden Euro pro Jahr. Zusätzlich kostet Unternehmen die Neubesetzung einer vakanten Stelle laut der Fluktuationskostenstudie 2016 der Unternehmensberatung Wolf I.O. Group GmbH durchschnittlich 6.000 Euro. Die richtige Person mit der richtigen Kompetenz am richtigen Platz ist demnach ein zentraler Erfolgsfaktor.
RecruiterInnen können durch Persönlichkeitstests Schwachstellen bei Bewerbenden identifizieren und im persönlichen Gespräch gezielt ansprechen – oder unpassende Kandidatinnen und Kandidaten schon frühzeitig aussortieren. Und manche Tests helfen, auch gleich zu Beginn die Stellenausschreibung passgenauer zu formulieren. Denn den definierten Persönlichkeitstypen oder Verhaltenspräferenzen sind passende Jobprofile zugeordnet. D.h., durch Anpassung des Wordings in der Stellenausschreibung können geeignete Talente gezielter angesprochen werden. So fühlen sich Personen, die sich im Controlling oder in der Buchhaltung wiederfinden, von anderen Formulierungen angesprochen als beispielsweise Mitarbeitende im Vertrieb oder im Marketing.
Gendergerechte Personalpolitik
Frauen fühlen sich häufig wenig von Jobinseraten angesprochen, in denen das generische Maskulinum dominiert. Das Gendern in Stellenanzeigen kann helfen.
Doch nicht nur für die Eignungsdiagnostik sind Persönlichkeitstests sinnvolle Instrumente, sondern auch für Beratungsgespräche und Laufbahnempfehlungen, wenn es um die Personalentwicklung geht. So kommt es häufig vor, dass Mitarbeitende mit guten Leistungen in Führungsrollen befördert werden, ohne dass Unternehmen ihre sozialen Kompetenzen für die neue Rolle überprüfen. Analysen können zeigen, ob KandidatInnen überhaupt führen wollen und können – oder besser fachlich weiterentwickelt werden sollten. Ähnliches gilt für die Teamentwicklung und die richtige Zusammenstellung von Mitarbeitenden für ein Projekt. Ein Faktor für erfolgreiche Teamstrukturen liegt in seiner Diversität begründet, also wenn nicht alle Teammitglieder gleich „ticken“. Sind die Persönlichkeitstypen oder Verhaltenspräferenzen des Teams bekannt, so fällt es leichter, fehlende „Typen“ für ein Projekt zu identifizieren.
Auch bei der Lösung von Konflikten im Team, kann ein Blick auf die Persönlichkeitsstrukturen hilfreich sein. Denn sie helfen zu verstehen, warum eine Person so oder so agiert. Das kann zu mehr Bewusstsein und Verständnis im Team führen, vorausgesetzt alle Teammitglieder sind gewillt, ihre Testergebnisse offenzulegen. Hier kann je nach Konstellation eine externe Moderation durch eine/n Trainer/in oder externer Coach gute Dienste leisten.
So kann es zu Erkenntnissen oder Gesprächen kommen wie: „Ach so, du bist vorherrschend der grüne Typ. Deshalb ist dir Harmonie im Team so wichtig. Und deshalb reagierst du manchmal so allergisch, wenn Teammeetings verschoben oder abgesagt werden oder Kollegen zu spät kommen.“ Oder: „Ja, stimmt. Mein Verhaltensstil ist überwiegend „festhaltend/bewahrend“. Deshalb fällt es mir schwer, mich spontan auf neue Situationen einzustellen. Ich glaube, es würde mir helfen, wenn du zukünftig Termine einstellst, anstatt mich spontan in meinem Büro aufzusuchen, um etwas schnell zu besprechen.“
Zu beachten ist jedoch, dass klassische Persönlichkeitstests in der Regel auf Erfahrungswerten, (Selbst-)Einschätzungen und Arbeitspraktiken beruhen. Die Ergebnisse – die je nach Methode mehr oder weniger konkret ausfallen – geben lediglich Hinweise und sind nicht als absolut zu betrachten. Manche Methoden sind zudem nicht wissenschaftlich fundiert. Außerdem eignen sich ältere Tests nicht, wenn neue Jobprofile entstehen, die es vorher noch nicht gab und bei denen die Anforderungen noch unklar sind; neuere Tests wiederum sind teilweise noch nicht ausgereift.
Zu beachten ist, dass klassische Persönlichkeitstests in der Regel auf Erfahrungswerten, Arbeitspraktiken &(Selbst-)Einschätzungen beruhen
Die verschiedenen Methoden und ihre Vor- und Nachteile
Big Five (5-Faktoren-Modell)
- Wofür steht die Methode?
Big Five ist ein Modell der Persönlichkeitspsychologie (auch OCEAN-Modell genannt). Ihm zufolge lässt sich die Persönlichkeit in fünf Hauptdimensionen einteilen: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. - Was sind die Vorteile und Besonderheiten?
Das Modell ist wissenschaftlich belegt, zuverlässig und international als Standard anerkannt. - Was sind die Nachteile?
Kritiker meinen, dass die fünf Dimensionen nicht ausreichen, um die menschliche Persönlichkeit abzubilden. Zudem ist die kulturelle Universalität umstritten. - Welche Einsatzbereiche gibt es?
Die Fragebögen kommen nicht nur im Arbeitskontext (Personalauswahl, Arbeitsverhalten, Arbeitszufriedenheit, Führungs- und Karriereerfolg etc.), sondern auch vor Gericht, in Schulen, bei der Berufsberatung und in der psychologischen Forschung zum Einsatz.
MBTI (Myers-Briggs-Typenindikator)
- Wofür steht die Methode?
Der MBTI zählt zu den bekanntesten Tests. Er basiert auf vier Dimensionen (Extraversion, Sensitivität, Denken, Beurteilen), die bei allen Menschen in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden sind, und unterteilt Menschen in 16 Persönlichkeitstypen. - Was sind die Besonderheiten und Vorteile?
Der Test soll helfen, die eigene Persönlichkeit besser zu verstehen sowie die individuellen Neigungen, Kompetenzen und Potenziale zu ermitteln. Die Fragen „Wer bin ich und was kann ich?“ lässt sich so leichter beantworten. - Was sind die Nachteile?
Der Test ist in der Wissenschaft und Persönlichkeitspsychologie hoch umstritten, da die Selbstbeschreibungen sehr vereinfacht sind und sich die Ergebnisse kaum nachweisen lassen. - Welche Einsatzbereiche gibt es?
MBTI wird vor allem im Personalwesen und bei der Bewerberauswahl eingesetzt. Neben der Selbstfindung und -stärkung kann er als Tool genutzt werden, um das Leben umzustrukturieren und zu optimieren.
HBDI (Hermann Brain Dominance Instrument)
- Wofür steht die Methode?
HBDI ist ein führendes, wissenschaftlich fundiertes Analyseinstrument für Denkstilpräferenzen. Es soll intuitive, analytische, strukturelle und strategische Denk- und Verhaltensweisen von Menschen, auch in Stresssituationen oder bei Entscheidungsfindungen, wertfrei sichtbar machen. - Was sind die Besonderheiten und Vorteile?
Das Instrument führt zu einem gesteigerten Selbstverständnis, nach dem Menschen ein authentisches Abbild ihrer Persönlichkeit erhalten. Mit HBDI können sowohl Einzel- als auch Teamprofile erstellt werden. Bei Einzelpersonen eröffnet es neue Perspektiven für die eigenen Talente und Potenziale. Im Team eingesetzt, werden Stärken, Synergieeffekte, Entwicklungspotenziale und mögliche Reibungsverluste aufgedeckt. - Was sind die Nachteile?
Das Modell ist mit hohen Kosten verbunden. - Welche Einsatzbereiche gibt es?
Das Tool wird zur Einarbeitung, zur Persönlichkeits- und Teamentwicklung und zur besseren Entscheidungsfindung genutzt.
Clifton Strengthsfinder von Gallup
- Wofür steht die Methode?
Das CliftonStrengths Assessment gibt in einer Rangfolge die individuellen Stärken in 34 Talentthemen an. Es untersucht die Art und Weise des natürlichen Denkens, Fühlens und Verhaltens und dient der stärkenorientierten Entwicklung. - Was sind die Vorteile und Besonderheiten?
Interne Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die CliftonStrengths kennen und nutzen, bei der Arbeit stärker emotional gebunden sind, in ihren Rollen produktiver sowie glücklicher und gesünder sind. - Was sind die Nachteile?
Es ähnelt dem 5-Faktoren-Modell. - Welche Einsatzbereiche gibt es?
Das Tool kann angewendet werden, um Potenziale sichtbar zu machen, Mitarbeitende und Führungskräfte zu besseren Leistungen zu befähigen und die Zusammenarbeit in Teams zu stärken.
Bochumer Inventar
- Wofür steht die Methode?
Das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung erfasst systematisch berufsrelevante Persönlichkeitsmerkmale. Es soll die Passung von Persönlichkeit und Tätigkeit gerade im Fach- und Führungskräftebereich prüfen. - Was sind die Vorteile und Besonderheiten?
Hauptbereiche des Tools sind die berufliche Orientierung, das Arbeitsverhalten, die soziale Kompetenz und die psychische Konstitution. Das BIP gilt als reliabel und valide und es wird ständig weiterentwickelt. Im Gegensatz zu anderen Tools grenzt es nicht schablonenhaft Typen voneinander ab. - Was sind die Nachteile?
Den geschlossenen Statements kann auf einer sechsstufigen Skala mehr- oder weniger zugestimmt werden. Dadurch besteht die Gefahr, aus der sozialen Erwünschtheit heraus zu antworten und den Test zu verfälschen. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt selbstständig auf Basis von Informationen und Interpretationshilfen, was Grundlagenkenntnisse voraussetzt und zusätzlichen Aufwand bedeutet. - Welche Einsatzbereiche gibt es?
Zur Persönlichkeitsentwicklung, in Auswahlprozessen, in Coachingmaßnahmen oder zur persönlichen Standortbestimmung.
LIFO („Life Orientations“)
- Wofür steht die Methode?
LIFO ist keine Persönlichkeitstypologie, sondern soll der objektiven Einschätzung persönlicher Verhaltensstile und -muster auf Basis von vier Grundstilen dienen. Dadurch werden die eigenen Ziele, Annahmen und Empfindungen in unterschiedlichen Situationen erkannt und Strategien für die Kommunikation mit Mitmenschen entwickelt, zum Beispiel, wenn es um Feedback oder Konflikte geht. - Was sind die Vorteile und Besonderheiten?
Die Methode betont die Vielfalt menschlichen Verhaltens je nach Bedingung. So ändern Menschen oft ihr Verhalten in herausfordernden Situationen, wie z.B. bei Stress. Der positive Grundgedanke ist, dass jeder Mensch lernen kann, seine persönlichen Stärken bewusst weiterzuentwickeln und flexibel zu gestalten. Dadurch wird die Methode sehr alltagsnah und leicht umsetzbar. - Was sind die Nachteile?
Der Test beruht auf Selbsteinschätzung. Entscheidend für die Interpretation der Ergebnisse ist nicht die Auswertung des Fragebogens, sondern das anschließende Gespräch mit einem Experten. - Welche Einsatzbereiche gibt es?
LIFO wurde ursprünglich für das Leistungsmanagement und zur Leistungsbeurteilung entwickelt. Es lässt sich als Stärkenprofil, zur individuellen Förderung (Karriereplanung), bei Veränderungsbedarf, zur Problemlösung im zwischenmenschlichen Bereich und zur Zusammensetzung von Teams nutzen.
DISG („Dominanz, Initiative, Stetigkeit und Gewissenhaftigkeit“)
- Wofür steht die Methode?
DISG ist ein auf Selbstbeschreibung basierender Persönlichkeitstest, der die Ergebnisse in den Bereichen „Äußeres Selbstbild“, „Inneres Selbstbild“ und „Integriertes Selbstbild“ anhand eines Skalendiagramms darstellt. - Was sind die Besonderheiten und Vorteile?
Die Methode eignet sich besonders gut für die Reflexion des eigenen Verhaltens sowie für die schnelle Analyse von Gesprächspartnern. Grundlegende Verhaltensweisen lassen sich gut einschätzen. - Was sind die Nachteile?
Die Antwortmöglichkeiten „am ehesten“ beziehungsweise „am wenigsten“ lassen nur Tendenzen zu. Anstatt die gesamte Persönlichkeit zu analysieren, wird nur situatives Handeln untersucht. Die Methode gilt als veraltet und wissenschaftlich nicht fundiert. - Welche Einsatzbereiche gibt es?Teilnehmende erfahren, wie sie selbst und andere „ticken“, was den Umgang miteinander und die Zusammenarbeit erleichtert.
Biostrukturanalyse
- Wofür steht die Methode?
Die Biostrukturanalyse wurde aus den Erkenntnissen der Hirnforschung entwickelt und ist eine wertfreie Selbstanalyse, um individuelle, genetisch veranlagte Grundmuster der Persönlichkeit und des Verhaltens sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken zu ermitteln. - Was sind die Vorteile und Besonderheiten?
Die Analyse zeigt die Ursachen für Unterschiede zwischen Persönlichkeiten. Dazu gehört etwa die individuelle Arbeitsweise des Gehirns und das Zusammenspiel der drei Gehirnbereiche. Sie zeichnet sich durch eine hohe Prognosekraft und Zuverlässigkeit aus. - Was sind die Nachteile?
Die Analyse ist kein klassischer psychologischer Test. - Welche Einsatzbereiche gibt es?
Besseres Verstehen der eigenen Persönlichkeitsstruktur, um sich im Umgang mit Kunden, Geschäftspartnern und Mitarbeitenden sowie in Verhandlungen, im Verkauf und im Team angemessener zu verhalten.
Vom Charakter auf den Traumjob schließen, geht das?
Persönlichkeitsstrukturanalysen und Persönlichkeitstests sind nur ein Baustein von vielen, der nicht überbewertet werden sollte: Kein Tool kann eine 100-prozentige Vorhersage treffen, ob eine konkrete Person zu einem bestimmten Job passt oder wie sie sich dann verhält oder wohlfühlt. Auch gilt es darauf zu achten, dass sich keine Pauschalisierungen oder Stereotypen manifestieren.
Personalverantwortliche sollten die Tests bewusst und auf den jeweiligen Einsatzzweck hin auswählen, wobei folgende Qualitätskriterien entscheidend sind: Objektivität, eine gute Vorhersagekraft, eine eindeutige und verlässliche Messbarkeit, sprich Reliabilität und Validität. Die Methoden helfen in der Eignungsdiagnostik oder der Karriereplanung bei einer Vor- oder Endauswahl sowie um Mitarbeitende und Teams weiterzuentwickeln. Um etwas über die Motivation von Bewerbenden, warum sie sich für einen Job oder eine bestimmte Position interessieren, zu erfahren, ist und bleibt der persönliche Kontakt aufschlussreicher.
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