Von Dominik Josten · 4 Minuten Lesezeit
Asynchrone Videointerviews können den Recruiting-Prozess für alle Beteiligten komfortabler machen. Wir stellen empfehlenswerte Lösungen vor.
Das Anschreiben ist tot! Jedenfalls schallt es so immer wieder durch die virtuellen Gänge sozialer Business-Plattformen und von physischen HR-Bühnen. Auch wir haben Zweifel, inwiefern es in Zeiten von ChatGPT und Co. noch sinnvoll ist, auf einem Anschreiben zu bestehen. Eignungsdiagnostiker würden ohnehin am liebsten nur Tests machen und den (verzerrten) persönlichen Eindruck hintanstellen. Und wenn mit „Blind Hiring“ mehr Diversität erreicht werden soll, kommt das Anschreiben ebenfalls nicht in Frage.
Doch das alles ist nur Theorie. In der Praxis ist der persönliche Eindruck eben doch immer wieder ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl. Zum Beispiel dann, wenn Lebensläufe (noch) nicht sehr aussagekräftig sind – etwa bei Azubis oder Quereinsteigern. Oder wenn Auftreten, Artikulation und ähnliches ein wichtiger Teil des zukünftigen Jobs sind; im Service beispielsweise, im Verkauf und bei allen anderen Positionen mit intensivem Kontakt zu Kundinnen und Kunden.
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Alternative zu Motivationsschreiben und Erstgespräch
Jede Kandidatin oder jeden Kandidaten zum persönlichen Gespräch einzuladen, ist jedoch ziemlich aufwendig und in bestimmten Konstellationen auch sehr kostenintensiv. Häufig wird sich daher mit Online-Vorstellungsgesprächen via Teams, Zoom oder einer anderen Plattform geholfen. Doch auch diese Variante ist nur unwesentlich effizienter.
Eine attraktive Alternative, die sowohl ein herkömmliches Motivationsschreiben als auch ein Erstgespräch ersetzen kann, sind asynchrone – also zeitversetzte – Video-Vorstellungen.
Der erste Gedanke bei vielen mag jetzt sein: „Das ist doch nur was für technologie-affine Gruppen“. Aber wer einen Teams-, Zoom- oder WhatsApp-Call hinbekommt, bekommt auch ein asynchrones Videointerview hin. Sich vor den eigenen Laptop oder das Smartphone zu setzen und sich selbst damit aufzunehmen, ist heute für fast niemanden mehr eine Schwierigkeit. Praxisberichte zeigen daher auch, dass die Akzeptanz deutlich höher ist, als viele zunächst denken mögen.
Ähnliches Verfahren, verschiedene Anbieter
Doch worum geht es eigentlich genau? Grundsätzlich ist das Verfahren bei den asynchronen Interviews immer ähnlich: Das Recruiting-Team und eventuell Mitarbeitende aus dem rekrutierenden Fachbereich überlegen sich ihre Fragen und nehmen diese als Video auf. Dabei haben sie auch die Möglichkeit, auf authentische und sympathische Weise etwas über das eigene Unternehmen, das Team und den Job zu erzählen. Im Sinne des Employer Branding ist das ein zusätzlicher Vorteil.
Das macht das Recruiting-Team nur einmal pro Ausschreibung, sodass allen Bewerberinnen und Bewerbern die exakt gleichen Fragen gestellt werden. In Sachen Vergleichbarkeit ist das schon einmal ein Plus. Bei manchen Tools lassen sich auch Fragenpools erstellen, aus denen man sich dann ausschreibungsübergreifend bedienen kann. In jedem Fall eine enorme Zeitersparnis für das Hiring-Team und damit eine entsprechende Kostenersparnis für das Unternehmen.
Auf die gestellten Fragen antwortet die Kandidatin oder der Kandidat ebenfalls per Video. Dafür sind weder besondere Fähigkeiten noch zusätzliche Hard- oder Software erforderlich. Die Bewerberinnen und Bewerber bekommen in der Regel einfach einen Link zu einer Seite zugeschickt, über die sie dann ihre Antworten aufnehmen können.
Cloud-basiert und DSGVO-konform
Praktisch alle Lösungen sind Cloud-basiert, denn Videodateien hin- und herzuschicken, ist viel zu kompliziert. Wir haben uns umgeschaut und vier Anwendungen ausgesucht, die wir Ihnen vorstellen möchten. Sie alle sind mit den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar.
Cammio – unser Tipp
Das 2013 gegründete deutsch-niederländische Unternehmen Cammio, das zwischenzeitlich zu Stepstone gehörte, nach einem Management-Buyout mittlerweile aber im Besitz der Geschäftsführung ist, ist voll auf Video-Recruiting spezialisiert.
Neben den asynchronen Videointerviews bietet die Lösung auch Funktionen für Videos im Active-Sourcing-Kontext und für Video-Stellenanzeigen. Dabei steht die Einfachheit der Nutzung im Vordergrund. Für Active Sourcer gibt es etwa ein Browser-Plug-in, das die Arbeit in sozialen Netzwerken komfortabel macht.
Die Kunden von Cammio stammen aus einer Vielzahl von Branchen und reichen von Schwergewichten aus dem Einzelhandel über Automobilhersteller, Beratungsunternehmen und Technologieanbieter bis zu großen Zeitarbeitsfirmen. Tendenziell nutzen eher größere Unternehmen, die entsprechend viele Stellen pro Jahr zu besetzen haben, das Tool.
Neben einem Flatrate-Modell für eine unbegrenzte Anzahl an Ausschreibungen und Interviews, das sich preislich an der Unternehmensgröße orientiert, bietet Cammio auch eine Art Pay-per-Use-Modell an, bei dem auch kleinere Kontingente gekauft werden können. Sollen beispielsweise 100 Stellen pro Jahr besetzt werden, würde jede Position im Durchschnitt 140 Euro kosten.
Cammio selbst stellt seinen persönlichen, proaktiven und natürlich deutschsprachigen Support heraus, der Nutzerinnen und Nutzer nicht nur hinsichtlich der Technologie, sondern auch in Bezug auf den Prozess unterstützen will – also beispielsweise auch versucht zu helfen, wenn Drop-out-Raten auffällig hoch sind. Der Support begleitet Unternehmen auch im Rahmen des Onboardings mit Konzepten und Einweisungen dazu, wie sich Video-Recruiting optimal nutzen lässt.
Ein weiterer Pluspunkt ist die standardmäßige Integration von SAP SuccessFactors Recruiting.
VidCruiter
VidCruiter wurde 2012 in Kanada gegründet und bietet eine Plattform, die eine Reihe von Recruiting-Funktionen umfasst. Der Schwerpunkt liegt dabei klar auf Videointerviews – sowohl Live- als auch aufgezeichnete Videos. Diese beiden Kern-Features werden durch hilfreiche Tools wie Interview-Strukturierung oder Scheduling ergänzt.
Laut Angaben von VidCruiter vertrauen mehr als 100.000 Recruiter der Software. Sie arbeiten in unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen, außerdem im Bildungswesen und im öffentlichen Sektor. Der mit Sicherheit bekannteste Kunde sind die Vereinten Nationen – um genau zu sein, das United Nations Development Programme (UNDP). Sinnvoll ist der Einsatz der Software vor allem für Unternehmen, die im Jahr mehr als 100 Stellen besetzen.
Das Preismodell ist skalierbar und wird an die Anforderungen des jeweiligen Unternehmens angepasst. Dabei zahlen die Kunden prinzipiell nur das, was sie auch nutzen; weitere Funktionen können einfach dazugebucht werden. Einen verbindlichen Überblick zur Kostenstruktur gibt es nicht, da die Preisgestaltung individuell sehr unterschiedlich ist.
Als Argument für die Wahl der VidCruiter-Software stellt das Unternehmen neben einem 24/7-Support, der Client Experience und den Reporting-Möglichkeiten auch die Sicherheit heraus. Belegen kann der Anbieter das mit einigen einschlägigen Zertifizierungen. Zudem entspricht die Software verschiedenen rechtlichen Vorgaben – unter anderem ist der Einsatz DSGVO-konform.
Vorteilhaft sind auch die vielen standardmäßigen Integrationen, zu denen unter anderem SAP SuccssFactors Recruiting zählt.
Hireflix
Komplett auf asynchrone Videointerviews spezialisiert ist Hireflix. Die Software unterstützt Recruiting-Teams nicht nur bei der Aufnahme von Videos, sondern auch beim Austausch mit den Kandidatinnen und Kandidaten.
Die Preise dafür sind nach der Anzahl der Mitarbeitenden gestaffelt: Unternehmen mit bis zu 49 Mitarbeitenden zahlen 75 Dollar im Monat, für Unternehmen mit 50 bis 250 Mitarbeitenden liegen die Kosten bei 150 Dollar pro Monat (bei einer Buchung für ein Jahr). Größere Unternehmen stimmen den Preis individuell ab.
Für eine Reihe von Systemen hat Hireflix direkt eine Integration an Bord. SAP SuccessFactors Recruiting gehört zwar nicht dazu, dafür gibt es aber eine offene Schnittstelle, die die Entwicklung einer individuellen Integration erleichtert.
Spark Hire
Die Software von Spark Hire bietet sowohl Funktionen für Live-Videointerviews als auch für asynchrone Videointerviews. Für die zeitversetzte Variante können Recruiting-Teams ihre Fragen entweder als Video aufnehmen oder schriftlich formulieren – und dann für spätere Recruiting-Runden speichern.
Die Preise sind in vier Stufen gestaffelt, die sich hinsichtlich des Funktionsumfangs und der Anzahl der User unterscheiden: Die Lite-Variante kostet 149 Dollar pro Monat, die Pro-Variante 299 Dollar und die Growth-Variante 499 Dollar (bei einer Buchung für ein Jahr). Für die Enterprise-Variante werden die Preise individuell abgestimmt.
Spark Hire bietet eine Vielzahl an Integrationen, allerdings nicht für SAP SuccessFactors.
Ausprobieren lohnt sich
Neben den vier vorgestellten Anwendungen gibt es noch eine ganze Reihe weitere Tools für asynchrone Videointerviews. Sie alle unterscheiden sich ein wenig hinsichtlich der Funktionen; in Bezug auf die Oberfläche sind die Unterschiede jedoch größer. Alle aber sind ohne großen Aufwand und ohne immense Investition startklar. Teilweise können die Tools auch erst einmal als Testversion ausprobiert werden. Insofern ist unsere ausdrückliche Empfehlung: Probieren Sie asynchrone Videointerviews unbedingt einmal aus! Vielleicht zunächst bei Jobs, für die eher technologie-affine Kandidatinnen und Kandidaten gesucht werden. Wir können uns gut vorstellen, dass asynchrone Videointerviews mit der Zeit zum festen Bestandteil Ihres Recruitings werden und sukzessive Motivationsschreiben und Erstgespräche ersetzen.
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