Von HR HEUTE-Redaktion · 7 Minuten Lesezeit
Wie geht’s 2024 weiter im Recruiting? Schwer zu sagen, vieles ist ungewiss. Außer einer Sache: Es gibt eher eine Evolution als eine Revolution.
Der wichtigste Recruiting-Trend 2024 wird meines Erachtens sein, dass es keinen klaren Trend gibt.
Joachim Diercks – Gründer des Recrutainment-Unternehmens CYQUEST
Recruiting-Trend 1: Recruiting wird kreativer
Unternehmen legen sich gehörig ins Zeug, um mit kreativen Ideen bei Kundinnen und Kunden aufzufallen und sie für die eigenen Produkte oder Services zu begeistern. Weil sie etwas von den Kundinnen und Kunden wollen, müssen sich die Unternehmen anstrengen – das ist offenbar die Überlegung. Mit Blick auf potenzielle Mitarbeitende sehen das viele Verantwortliche bis heute genau andersherum: Die Kandidatinnen und Kandidaten würden etwas von den Unternehmen wollen. Also sollen sie sich auch Mühe geben.
Mal abgesehen davon, dass eine solche Einstellung noch nie für eine besonders einladende Unternehmenskultur gesprochen hat, trifft der logische Zusammenhang auch längst nicht mehr zu. In vielen Bereichen bewerben sich Mitarbeitende nicht mehr bei Unternehmen, sondern Unternehmen bei potenziellen Mitarbeitenden. Und deshalb gilt spätestens jetzt, was seit Ewigkeiten für die Interaktion mit Kundinnen und Kunden gilt: Wollen Unternehmen beim Recruiting wahrgenommen werden, müssen sie deutlich kreativer werden.
Recruiting-„Chefkoch“ Michael Eckert hat dafür ein Rezept: „Copywriting und Künstliche Intelligenz werden im Jahr 2024 das Recruiting verändern. Mit dieser Kombination wird eine Recruiterin oder ein Recruiter nicht nur aus der Masse hervorstechen, sondern auch schneller sein. Der Großteil der Kommunikation nach außen erfolgt schließlich schriftlich. Sei es durch Direktansprache, Stellenanzeigen oder andere Employer-Branding-Maßnahmen. Sich von der Masse abzuheben, braucht kreative Ansätze, und das gelinkt mit KI effizienter. Neben ChatGPT empfehle ich beispielsweise die App Perplexity, um in kürzester Zeit eine solide Basis zu schaffen. Dennoch müssen Recruiterinnen und Recruiter lernen, aus den KI-Möglichkeiten eine einzigartige ‚Stimme‘ zu generieren. Sowohl für das Employer- als auch für das Personal-Branding. Deswegen führt kein Weg vorbei am Copywriting. Schlussendlich sind Kreativität und Innovation der Schlüssel, um die besten Talente 2024 für sich zu gewinnen.“
Schlussendlich sind Kreativität und Innovation der Schlüssel, um die besten Talente 2024 für sich zu gewinnen.
Michael Eckert – Recruiting-„Chefkoch“
Recruiting-Trend 2: Recruiting wird persönlicher
Dafür, dass es beim Recruiting immer um die Begegnung von Personen geht, ist das gesamte Bewerbungs- und Auswahlverfahren bis heute ziemlich unpersönlich. Die HR-Abteilungen verfolgen in sämtlichen Aspekten eine „One size fits all“-Strategie: von den Stellenanzeigen über die Interviews bis zu den Leistungen, die sie potenziellen Mitarbeitenden anbieten. Und um ehrlich zu sein – auch die meisten Kandidatinnen und Kandidaten geben sich kaum Mühe, Bewerbungen wirklich auf das jeweilige Unternehmen auszurichten.
Wir glauben, dass wird sich verändern, Recruiting wird in allen Belangen persönlicher. Das beginnt damit, dass nicht ausschließlich Unternehmen Job-Angebote kommunizieren, sondern die Menschen, die diese Stelle besetzen wollen. Statt mit einer eher anonymen Organisation, haben es die Kandidat*innen dann von Anfang an mit einer Person zu tun. Auch das Vorstellungsgespräch wird persönlicher ablaufen. Sarah Böning, Gründerin der Unternehmensberatung Talent Centric, sagt dazu: „Unternehmen sind gut beraten, das Recruiting endlich strategisch als Schlüsselfunktion zu etablieren und mit Kandidatinnen und Kandidaten wirklich auf Augenhöhe zu agieren. Damit meine ich beispielsweise, dass Recruiting-Verantwortliche keine einseitigen Interviews führen, sondern ein beidseitiges Kennenlernen ermöglichen. Inklusive beidseitigem Feedback. ‚Wir als Unternehmen sagen zu oder ab‘ – diese Haltung passt nicht mehr in die Zeit. Das Recruiting Game wird eben nicht mehr nur von einer Seite gespielt.“
Diese Haltung schließt auch ein, nicht an bis ins letzte Detail definierten Job-Profilen, Arbeitszeitmodellen und Leistungen festzuhalten, sondern flexibel auf die persönlichen Eigenschaften und Anforderungen einer Bewerberin oder eines Bewerbers einzugehen. Das kann bedeuten, einen Job auch ein Stück weit nach den spezifischen Stärken eines potenziellen Mitarbeitenden auszurichten oder statt einer Mitgliedschaft im Sportclub eher einen Betreuungsplatz für das Kind zu sponsern.
Wir als Unternehmen sagen zu oder ab – diese Haltung passt nicht mehr in die Zeit. Das Recruiting Game wird eben nicht mehr nur von einer Seite gespielt
Sarah Böning – Gründerin der Unternehmensberatung Talent Centric
Recruiting-Trend 3: Recruiting wird schneller
„Fast Fashion“, „Speed Dating“, „Quick Commerce“. Auf Geschwindigkeit zu setzen, ist häufig eine zweifelhafte Angelegenheit. Dem Recruiting allerdings wird in den meisten Fällen mehr Geschwindigkeit ziemlich guttun. Denn bislang warten Bewerberinnen und Bewerber in der Regel eine ganze Weile, bis sie Feedback erhalten. Vor ein paar Jahren mag das aus Sicht der Unternehmen noch kein Problem gewesen sein – schließlich haben potenzielle Mitarbeitende geduldig gewartet. Heute tun sie das viel, viel seltener. Wer sich also mit seiner Entscheidung ewig Zeit lässt, der geht immer öfter leer aus.
Artur Reich, Recruiting-Experte vom Arzneimittelhersteller Boehringer Ingelheim: „Aus meiner Sicht wird 2024 das Jahr der Recruiting-Basics. Und zu diesen Basics gehört unbedingt auch die Geschwindigkeit. Der Ausgangspunkt ist, den Recruiting-Prozess den Fachbereichen transparent zu erklären und Verantwortlichkeiten einzufordern. Mein Tipp: Die Stellenbesetzung dann wie ein kleines Projekt behandeln, bei dem alle wissen, wer was wann zu tun hat. Das verschafft den Fachbereichen Planbarkeit. Und damit: Zeit. Was letztlich den ganzen Prozess schneller macht.“
Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir sind nicht der Meinung, dass sich HR-Abteilungen jetzt beim Recruiting ausschließlich an der „Time to Hire“ oder ähnlichen Kennzahlen orientieren sollen. Das ist sogar eine schlechte Idee, weil darunter rasch die Qualität der Auswahl leidet. Mit mehreren Kandidatinnen und Kandidaten zu sprechen, bleibt auch 2024 wichtig, wird sogar noch wichtiger. Es kommt nur auf zwei Dinge an.
Erstens darauf, zeitnah zurückzumelden, was Sache ist: Deine Unterlagen sind angekommen. Wir laden dich zum Interview ein. Du hast den Job usw.. Und zweitens darauf, Entscheidungen zu treffen, sobald die erforderlichen Daten und Fakten vorliegen.
Madeleine Kern, selbständige Expertin für Stellenanzeigen und Employer Branding bringt das so auf den Punkt: „Die Recruiting-Prozesse bei den allermeisten Unternehmen müssen schneller – oder eher: effizienter – werden. Ohne, dass sich die Geschwindigkeit negativ auf die Qualität auswirkt. Denn Fehleinstellung braucht niemand.“
Die Recruiting-Prozesse bei den allermeisten Unternehmen müssen schneller – oder eher: effizienter – werden.
Madeleine Kern – Selbständige Expertin für Stellenanzeigen und Employer Branding
Recruiting-Trend 4: Recruiting wird transparenter
Für Bewerberinnen und Bewerber ist das Recruiting fast immer ein Black Box: Sie liefern ihren Input in Form von Bewerbungsunterlagen, Antworten in Interviews und manchmal Ergebnissen in Tests. Und irgendwann erhalten sie ein Ergebnis. Wie das zustande gekommen ist – nobody knows (unter Umständen auch nicht die Recruiterinnen und Recruiter). Deshalb ist es 2024 endlich an der Zeit für mehr Transparenz.
Das heißt unter anderem, dass Recruiterinnen und Recruiter offenlegen, wie das Bewerbungs- und Auswahlverfahren abläuft und wo eine Kandidatin oder ein Kandidat im Augenblick steht (und das möglichst rasch – siehe oben). Auch das gehört für Artur Reich mit zu den Basics, bei denen er 2024 (endlich) Fortschritte erwartet – sowohl mehr Klarheit bei den Kriterien als auch bei der Kommunikation. Hinzu kommt ein klarer Fokus auf die tatsächlichen Anforderungen an den Job, wobei gleichzeitig Formalitäten wie Abschlüsse in den Hintergrund rücken. Die Türen öffnen sich so auch für Quereinsteiger. Warum sich Transparenz auch noch aus anderem Grund lohnt, erklärt Artur Reich so: „Transparenz im Recruiting ist auf dem deutschen Bewerbermarkt so selten, dass Kandidatinnen und Kandidaten komplett erstaunt sind, wenn ihnen von Anfang an offen kommuniziert wird, was auf sie zukommt. Das wirkt oft stärker als irgendwelche Marketingslogans auf der Karriereseite.“
An nochmal eine andere Form von Transparenz denkt Madeleine Kern: „Wünschen würde ich mir auch, dass schon in Stellenanzeigen in Sachen Gehalt mit offenen Karten gespielt wird“. Das erspare Aufwand auf beiden Seiten, wenn früh klar ist, dass man in diesem wichtigen Kriterium keinen gemeinsamen Nenner finden wird. Rechtliche Regelungen dazu sind ohnehin schon auf den Weg gebracht.
Dass sich Transparenz bei den Gehältern für die Unternehmen auszahlen könnte, davon ist Tim Verhoeven, Senior Manager Talent Intelligence bei indeed überzeugt. Und zwar auf Basis von harten Fakten: Auf indeed veröffentlichte Stellenanzeigen, bei denen Gehälter angegeben sind, erhalten durchschnittlich 55 Prozent mehr Bewerbungen, hat er schon vor einigen Monaten im Interview unserem Autor Dominik Josten auf dessen YouTube-Kanal erzählt. Laut Aussage von Tim Verhoeven ist das einer der größten Hebel, den er während seiner Zeit bei indeed kennengelernt hat.
Recruiting-Trend 5: Recruiting wird reflektierter
Wir haben schon zu Beginn diese Einschätzung von Joachim Diercks zitiert. „Momentan ist vieles so in Bewegung, schwer zu überblicken und widersprüchlich, dass Unternehmen teilweise zu diametral entgegengesetzten Einschätzungen und daraus abgeleiteten Maßnahmen kommen.“ Genau das ist der Grund, weshalb Recruiting 2024 reflektierter werden muss. Es wird darum gehen, sich als Recruiterin oder Recruiter regelmäßig zu fragen, ob der eingeschlagene Weg nach wie vor richtig ist – oder ob hier und da nachjustiert werden muss. Das betrifft auch – oder sogar ganz besonders – die vorgenannten Trends. Es ist nämlich gar nicht so trivial, das richtige Maß an Kreativität (Wann wird es übertrieben?) persönlichen Einblicken (Wann wird es privat), Geschwindigkeit (Wann wir es stressig) und Transparenz (Wann wird es hinderlich?) zu finden. Das gelingt letztlich nur dann, wenn sich Recruiterinnen und Recruiter zumindest ein Stück weit auf ein Trial-and-Error-Vorgehen einlassen. Und daraus ihre Schlüsse ziehen.
Und es gibt noch eine Dimension. „Unternehmen müssen Mitarbeitende bei der Selbstreflexion und der beruflichen Orientierung unterstützen, damit sie für sich beantworten können, was sie eigentlichen wollen“, so Joachim Diercks. Wenn Bewerberinnen und Bewerber schon während des Recruitings eine ehrliche Antwort geben können, ist das für nur vorteilhaft. Vielleicht stellt die Kandidatin oder der Kandidat fest, dass der Job doch nicht der richtige ist. Oder es wird klar, wie das Jobprofil geändert werden müsste, damit beide Seiten profitieren.
Auf die Basics besinnen
Gerade, wenn alles im Umbruch ist, kommt es auf einen festen Standpunkt an. Sozusagen als einzige Gewissheit in ungewissen Zeiten. Deshalb erscheint uns der Rat von Artur Reich – Madeleine Kern sieht das übrigens genauso –, 2024 als Jahr der Basics und des inkrementellen Fortschritts zu begreifen, sinnvoll, um erfolgreich durch die nächsten Monate zu kommen: „Das ist vielleicht nicht so spektakulär. Aber sich darauf zu besinnen, ist gerade in turbulenten Zeiten sehr wertvoll. Wer die Basics beherrscht, hat ein starkes Fundament, was letzten Endes zu besserem Employer Branding, besseren Einstellungen und zufriedeneren Mitarbeitenden und Führungskräften führt.“
Sei nicht fancy, sei basic! Wer die Basics beherrscht, hat ein starkes Fundament!
Artur Reich – Recruiting-Experte vom Arzneimittelhersteller Boehringer Ingelheim
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