Danke fürs Leisesein
Von Bianca Lampart · 3 Minuten Lesezeit
Wenn Führungskräfte Mitarbeitende loben, tun sie etwas Gutes. Oder auch nicht, wenn das Lob nicht so rüberkommt wie gemeint. Von der Crux des Lobens.
Lob versus Ermutigung und der Ansporn zu Höchstleistungen
Da sitze ich gemütlich beim Frühstück, scrolle durch meine gemerkten Artikel und bleibe auf Spiegel Online bei der Kolumne von Jeannine Budelmann „Wie Chefs die Kraft des Lobes ausnutzen“ hängen. Beim Lesen ist mir etwas eingefallen, das ich vor langer Zeit erlebt habe und gerne teilen möchte. Aber erstmal von vorne:
In ihrer Kolumne erklärt Budelmann den Unterschied zwischen extrinsischer Motivation (Tätigkeit wird aufgrund von äußeren Reizen durchgeführt) und intrinsischer Motivation (Tätigkeit wird aufgrund von innerem Antrieb und Freude ausgeführt).
Sie beschreibt, dass Lob vom Chef zur extrinsischen Motivation gehört und Chefs dieses Muster gerne ausnutzen, um Mitarbeitende zu Höchstleistungen anzuspornen.
Und sie erläutert den Unterschied zwischen Lob, welches sich meist auf ein Endergebnis bezieht, und der vielleicht zielführenderen Ermutigung, bei der der Fokus meist auf dem noch nicht beendeten Prozess bzw. der unternommenen Anstrengung selbst liegt. Sie führt dabei folgende Beispiele an:
Ermutigung:
„Ihr habt bei dieser Aufgabe sehr gut im Team interagiert“ oder „Ich finde es beeindruckend, wie intensiv du dich in das neue Thema einarbeitest“.
Lob:
„Das haben Sie gut gemacht.“
Ist das noch Lob oder schon kontraproduktiv?
Und jetzt zu meinem Beispiel: Vor einiger Zeit habe ich miterlebt, wie eine Führungskraft eine Mitarbeiterin mit dem Satz lobte: „Ganz toll, dass Sie das Projekt so leise über die Bühne gebracht haben.“
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich hat diese Aussage wütend gemacht. Was, bitte schön, soll denn „so leise“ bedeuten?
Die Führungskraft hätte doch auch sagen können: Toll, dass das Projekt
- so einwandfrei
- so kompetent und professionell
- so termingetreu
- so qualitativ hochwertig
- so umfassend
- so ideenreich
erledigt wurde.
„Ja, aber das war doch damit gemeint!“ werden jetzt vielleicht viele von Ihnen denken. Ja, vielleicht.
Ich aber muss unweigerlich denken: „An ihren Taten werdet Ihr sie erkennen“. Denn die Führungskraft, die dieses Lob aussprach, wurde vom Gros der eigenen Mitarbeitenden als eine Führungsperson wahrgenommen, die
- am liebsten ihre Ruhe hatte und sich in ihrem Büro verschanzte,
- Konflikte und Aufwand scheute,
- kein Interesse hatte, Missstände auszuräumen,
- sich hinter der Meinung der Geschäftsführung versteckte,
- verwaltete, nicht gestaltete
- und der eigentlich alles egal war, solange es irgendwie lief.
Warum es Führungskräfte beim Loben nicht leicht haben – alles eine Frage der Wortwahl?
Na gut, eine Lanze will ich an dieser Stelle für Führungskräfte brechen: Es ist gar nicht so einfach, Mitarbeitende – auch mit all ihren persönlichen Befindlichkeiten – abzuholen. Wer will, kann alles in den falschen Hals bekommen. Und welche Führungskraft macht schon per se alles richtig?
Hörempfehlung:
Podcast
Glückliche Mitarbeitende sind kein Zufall
Interview mit Glücksforscherin Saskia Rudolph
Doch das Beispiel macht auch deutlich, dass selbst ein vielleicht wirklich gut gemeintes Lob nach hinten losgehen kann, wenn der zugrundeliegende Gesamteindruck nicht passt.
Deshalb: Es geht nicht nur um die Kraft der Worte, sondern auch darum, dass Worte und Verhalten deckungsgleich sein müssen. Nur dann besteht die Chance, dass das Gesagte auch so ankommt, wie es gemeint ist: Ehrlich und authentisch.
Leisesein bedeutet verstummen, bedeutet Stillstand
Mich hat das „So leise“-Lob auch deshalb wütend gemacht, denn: Was passiert, wenn man den Gedankenfaden weiterspinnt? Was passiert, wenn Führungskräfte Mitarbeitende wirklich dazu ermutigen, ihre Aufgaben möglichst leise zu erledigen?
Mitarbeitende lernen, dass sie eine wohlwollende Führungskraft vorfinden, solange sie sie nicht mit Details und Problemen zu ihren Projekten behelligen. Sie lernen, sich still zu verhalten und sich allein durchzubeißen. Sie lernen, dass sie ihrer Führungskraft eine Freude, ja sie sogar stolz machen, wenn sie alle Unannehmlichkeiten von ihr fernhalten. Die Mitarbeitenden lernen, die gesamte Last des Projekts einzig und allein auf ihren eigenen Schultern zu tragen, während die Führungskraft es sich in ihrer Komfortzone gemütlich macht.
Was ist die Konsequenz?
Es wird eine Belegschaft herangebildet, die aus Ja-Sagern, desillusionierten, resignierten und verängstigten Mitarbeitenden besteht. Es wird eine Unternehmenskultur geschaffen, die Dialog, kontroverse Diskussion und Reibung unterbindet. Eine Kultur ohne Vertrauen.
Dabei sind Dialog, Diskussion, Reibung und Vertrauen Zutaten, die eine Organisation widerstandsfähig und kraftvoll machen. Zutaten, die Garant für Optimierung, Innovation und Wachstum und somit letztlich Erfolg sind.
Wie kurzsichtig der Appell, die Aufgaben doch bitte „leise“ zu erledigen! Er lässt die gesamte Organisation mit all ihrem Potenzial und Reichtum kurzatmig werden und verstummen.
Die Kraft guter Führung
Ja, ich weiß, Führung kann anstrengend und stets mit Freude führen eine echte Herausforderung sein. Es geht auch gar nicht darum, als Führungskraft für Mitarbeitende zum Kummerkasten für alles zu werden und pausenlos Händchen zu halten.
Doch um langfristig als Unternehmen erfolgreich zu sein, sollten Führungskräfte ihren eigenen Führungsstil reflektieren, sich ernsthaft ihren Mitarbeitenden zuwenden, sich interessiert mit ihnen auseinandersetzen, ihnen Gehör schenken und sie zu einer eigenen, durchaus auch kritischen Meinung ermutigen – ihnen ganz einfach eine kraftvolle Stimme verleihen.
Hören und lesen Sie mehr zum Thema
Teilen