Streikende

Tarifverträge als Gehaltsbenchmark

„Wie viel mehr Gehalt ist angemessen?“ Vor dieser Frage stehen HR-Verantwortliche regelmäßig. Tarifverträge können wertvolle Anhaltspunkte liefern.

Im Januar 2024 steht das Land still. Und zwar im wörtlichen Sinne. Erst streiken die in der GDL organisierten Lokomotivführer mehre Tage, unzählige Züge im Fern- und Regionalverkehr fallen aus. Später folgen noch Luftsicherheitskräfte an Flughäfen, Beschäftigte im ÖPNV und das Bodenpersonal bei der Lufthansa. Rien ne va plus – quasi.

Höhere Entgelte, geringere Arbeitszeit

Im Wesentlichen kreisen diese Auseinandersetzungen um zwei Aspekte: wie sehr die Entgelte steigen und wie sehr die Arbeitszeiten sinken (was streng genommen auch eine Erhöhung des Entgelts pro Stunde bedeutet). Die GDL fordert etwa ein Plus von 555 Euro UND eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 35 Stunden.

Solch hohe Forderungen in Kombination damit, dass wir alle mehr oder weniger stark von diesen Streiks betroffen sind, verschafft gerade diesen Konflikten viel mediale Aufmerksamkeit. Und das führt dazu, dass Tarifverhandlungen auch einen Einfluss auf nicht tarifgebundene Unternehmen haben: Mitarbeitende werden motiviert, die Forderungsmesslatte ebenfalls sehr hoch anzulegen. Die Geschäftsführung sieht das in der Regel anders. Das endet zwar nicht in hart geführten Auseinandersetzungen oder nur Verhandlungen – schließlich agiert das Unternehmen souverän. Weit auseinanderliegende Erwartungen können sich aber schnell negativ auf das Klima auswirken.

Tarifabschlüsse bieten Orientierung

Mit diesem Erwartungs-Gap umzugehen und eine Größenordnung zu finden, die die Vorstellungen der Belegschaft aufgreift, sich gleichzeitig aber auch ökonomisch vertreten lässt, ist jedes Jahr eine große Herausforderung. Hier braucht es gute Argumente, die sich gegenüber den eigenen Mitarbeitenden glaubwürdig vertreten lassen.

Das Problem dabei: Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bekommen lediglich etwas von den außergewöhnlichen Abschlüssen mit und nutzen diese dann gerne im eigenen Interesse. Dass diese Abschlüsse aber bei Weitem nicht den Durchschnitt abbilden, wird deutlich seltener registriert – was angesichts der fehlenden Berichterstattung auch kein Wunder ist. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sehr üppige Entgelterhöhungen häufig auf Zeiten mit geringen bis gar keinen Erhöhungen folgen.

Insofern lohnt sich für HR-Verantwortliche immer ein Blick darauf, wie die Tarifabschlüsse innerhalb eines Jahres in verschiedenen Branchen ausgefallen sind. Das verschafft ein gutes Gefühl für die allgemeine Stimmung und hilft sehr beim Vergütungsmanagement.

Für die wichtigsten und größten Branchen haben wir die Ergebnisse der zurückliegenden Tarifrunden grob skizziert.

Chemische Industrie

Nach der Einigung im Oktober 2022 erhielten die Beschäftigen in der chemischen Industrie zum Januar 2023 3,25 Prozent mehr Lohn oder Gehalt pro Monat. Im Januar 2024 stieg das Entgelt nochmals um 3,25 Prozent – wobei dieser Erhöhung stufenweise erfolgen kann. Die Arbeitgeber leisteten darüber hinaus zum Januar 2023 und zum Januar 2024 jeweils eine Einmalzahlung in Höhe von 1.500 Euro.

Einzelhandel

Die letzten Abschlüsse gab es im Einzelhandel im Oktober 2021. Für Beschäftigte in Nordrhein-Westfalen wurde eine Entgelterhöhung zum September 2021 von 3 Prozent (maximal 81 Euro pro Monat) und eine stufenweise Steigerung von 1,7 Prozent ab Mai 2022 vereinbart. Beschäftigte in Brandenburg erhalten zum November 2021 3 Prozent mehr Lohn oder Gehalt. Zum Juli 2022 folgt dann eine stufenweise Erhöhung von 1,7 Prozent.

In der Tarifrunde 2023 forderte verdi pauschal eine Steigerung von 2,50 Euro pro Stunde (in Baden-Württemberg abweichend eine Erhöhung von 15 Prozent) sowie eine Mindestvergütung von 13,50 Euro pro Stunde. Eine Einigung wurde bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht erzielt.

Eisen- und Stahlindustrie

Im Dezember 2023 erstritt die IG Metall für die Beschäftigten in Nordwestdeutschland eine Steigerung der Entgelte von 5,5 Prozent zum Januar 2025. Zudem zahlten die Arbeitgeber im Januar 2024 eine Inflationsausgleichsprämie von 1.500 Euro und leisten dann noch zehn Zahlung in Höhe von jeweils 150 Euro.

Metall- und Elektroindustrie

Für die Metall- und Elektroindustrie vereinbarten die Tarifpartner im November 2022 einen Pilotabschluss für Baden-Württemberg. Zum Juni 2023 stiegen die Entgelte um 5,2 Prozent, zum Mai 2024 sollen sie dann noch einmal stufenweise um 3,3 Prozent zunehmen. Hinzu kommen Inflationsausgleichsprämien im März 2023 und 2024 in Höhe von jeweils 1.500 Euro.
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4-Prozent-Hürde beim Entgelt

Natürlich ist die Zusammenstellung der Abschlüsse rudimentär – es gibt nicht nur etliche weitere Branchen, es gibt auch eine Menge Differenzierungen innerhalb der Branchen und unzählige Details. Aus unserer Sicht ist aber dennoch eines klar erkennbar: Deutlich weniger als 4 Prozent mehr Lohn oder Gehalt dürfte in 2024 für viel Diskussionen sorgen. Viel mehr muss es aber vielleicht auch nicht sein. Wo Abschlüsse dramatisch höher ausfallen, hat das vor allem mit der überdurchschnittlichen Verhandlungsmacht der Gewerkschaften zu tun.

Wer sich intensiver mit den Tarifrunden der zurückliegenden Jahre beschäftigen möchte (was sich nach unserer Einschätzung für HR-Verantwortliche auf jeden Fall lohnt), der findet beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans Böckler Stiftung eine umfassende Zusammenstellung. Hier sind nicht nur die erreichten Abschlüsse dokumentiert, sondern auch Forderungen und Kündigungstermine. Zudem sind die einzelnen Verhandlungsrunden skizziert, sodass sich gut nachvollziehen lässt, wie Ergebnisse zustande gekommen sind. All das gibt HR-Verantwortlichen eine Menge Material an die Hand, um sowohl in Richtung der Mitarbeitenden als auch in Richtung der Unternehmensführung fundiert argumentieren lässt. Und vor allem: Um eine Einigung herbeizuführen, mit der beide Seiten zufrieden sind und die eine gute Atmosphäre im Unternehmen herbeiführt.

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