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Keine Angst vor Fehlern – motivierend führen

Fünf Leadership-Tipps

Immer noch arbeiten Führungskräfte mit Druck und erkennen zu spät, wenn sich im Team Angst breitmacht. Unsere Tipps, wie es besser geht – und produktiver.

Er sprach leise, sehr leise – und Angst erfüllte den Raum. Niemand konnte es sich leisten, ein Wort des Geschäftsführers zu überhören. Konnte man doch jederzeit angesprochen werden und sollte dann um eine Antwort nicht verlegen sein. Die Situation liegt schon Jahre zurück, aber sie ist hängen geblieben. Zwar mag es dem Ego guttun, wenn die Mitarbeitenden einem die Worte von den Lippen ablesen. Kreativität und Innovationen gedeihen allerdings in einem solchen Umfeld nicht. „Innovation, die nicht nur das Bestehende verbessert, beruht auch darauf, dass die Mitarbeitenden sich innerlich sicher genug fühlen, unbequeme Fragen zu stellen, Entscheidungen der Vorgesetzten zu hinterfragen, unausgegorene Ideen zu äußern, Fehler zu machen und sich mit ihrer ganzen Kreativität einzubringen.“[1] Wie gelingt es Führungspersonen, ein solches Umfeld zu schaffen?

1. Etablieren Sie eine positive Fehlerkultur

Amy Edmondson lehrt Leadership an der Harvard Business School. In einer Studie in einer Klinik fand sie Erstaunliches heraus: Das Pflegeteam, in dem die meisten Fehler gemacht wurden, hatte die höchste Zufriedenheitsquote.[1] Der Grund: Die Mitarbeitenden dieses Teams konnten zu ihren Fehlern stehen, weil sie keine negativen Reaktionen befürchten mussten, während die Mitglieder der anderen Teams ihre Fehler vertuschen mussten. Eine angstfreie Fehlerkultur trägt entscheidend zum Wohlbefinden bei und steigert die Qualität der Arbeit, weil Schwachstellen in Abläufen offen angesprochen werden. Vor diesem Hintergrund sollten uns die Ergebnisse einer aktuellen EY-Befragung zu denken geben: Erstaunliche 64 Prozent der mehr als tausend Führungskräfte und Angestellten aus dem Maschinenbau, der Transport- und Logistikbranche, der Automobilindustrie sowie aus Banken und Versicherungen gaben an, in den vergangenen zwei Jahren ihre Fehler mehr oder weniger unter den Teppich gekehrt zu haben. In der Finanzbranche waren es sogar mehr als vier Fünftel der Befragten. Nelson Taapken, EY-Partner im Bereich People Advisory Services: „Der Hang, eigene Fehler zu verschweigen, ist umso gefährlicher, als Führungskräfte bei der Etablierung einer positiven Fehlerkultur eine Schlüsselrolle spielen.“[2] Diese „habe einen starken Einfluss auf die Profitabilität des Unternehmens, seine Innovationskraft und die Qualität der Produkte und Services“.[2]

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2. Bieten Sie Raum für Kreativität

Moderne Führungsstile[3] prägen Organisationen, die sich weiterentwickeln und sich als lernend begreifen. Während eine positive Fehlerkultur der Angst entgegenwirkt, etwas falsch zu machen, gehen Führungskräfte hier einen Schritt weiter: Sie ermuntern ihre Mitarbeitenden, Ideen einzubringen, über den Tellerrand hinauszuschauen und bewusst die Grenzen dessen, was möglich ist, auszuloten. Es ist nicht schlimm, vom vorgegebenen Lösungsweg abzuweichen. Teams werden sogar ermuntert, eigene und neue Lösungen zu finden.

Ein Agenturleiter formulierte es einmal so: „Es ist okay, einen Kunden zu verlieren, weil unsere Vorschläge zu abgefahren sind. Es ist nicht okay, ihn zu verlieren, weil unsere Vorschläge zu langweilig sind.“ Gemeinsam entwickeln Teams – oftmals mithilfe spezieller Kreativitätstechniken[4] – Ideen. Entweder verfolgen sie diese weiter oder sie kommen zu dem Schluss, sie zu verwerfen. Wer so mitgestalten kann, läuft weniger Gefahr, ein „Ohnmachtsgefühl“ zu bekommen, der aktuellen – eventuell unbefriedigenden – beruflichen Situation oder auch Entscheidungen „von oben“ einfach ausgeliefert zu sein.

Wichtig dabei ist nur, von Beginn an das Konzept der Trennung von „role and soul“ zu vermitteln. Dahinter steht ein agiles Grundprinzip, dass Kritik an einem Vorschlag (den man im Rahmen seiner Rolle gemacht hat) nicht als Kritik an der Person (der „soul“) betrachtet wird.

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3. Hinterfragen Sie sich selbst

Mit Lippenbekenntnissen zu einer positiven Fehlerkultur und einem Klima der Weiterentwicklung allein ist es natürlich nicht getan. Als Führungskraft sind Sie gefordert, sich selbst kritisch zu hinterfragen – auch, oder vielleicht sogar vor allem dann, wenn Sie meinen, Ihren Job gut zu machen. Dieter Weichl, Berater für Unternehmenskultur, meint, dass Führungskräfte häufig problematisch agieren aus „Angst, nicht als Führungskraft wahrgenommen zu werden“.[4] Und zeigen dann teilweise Verhalten, was auch bei den Mitarbeitenden zu Unbehagen führen kann.

Nehmen Sie sich daher ab und an Zeit, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Hochroter Kopf, maximale Dezibelzahlen und Türenknallen sind die offensichtlichsten, aber keinesfalls die einzigen Zeichen für Verbesserungspotential bei der Führungskompetenz. Vielmehr prägen oft tückische, kleine, nicht hinterfragte Glaubenssätze das Verhalten und damit auch das Klima. Möglicherweise erzeugen Sie unbewusst Unbehagen, das sich bei der einen oder dem anderen in Angst niederschlagen kann. Dieter Weichl hat hierzu eine Reihe von Fragen zusammengestellt, an denen man sich orientieren kann. Gehen Sie die Fragen doch einmal durch oder formulieren Sie Ihren eigenen „Gewissensspiegel“. Noch besser funktioniert das übrigens im Tandem mit einer anderen Führungskraft, sodass man die Fragen tatsächlich laut jemandem beantwortet, statt nur für sich darüber nachzudenken. Beweisen Sie dabei Mut zur Übertreibung, also orientieren Sie sich im Zweifel an den schlechtesten Versionen Ihrer selbst in der Vergangenheit, um sich auf die Schliche zu kommen:

  • „Wie reagieren Sie, wenn ein Mitarbeiter etwas nicht so macht, wie Sie es sich vorstellen? Oder was sind die Worte, die Sie verwenden, wenn Sie einen Fehler entdecken?
  • Auf welche Weise leiten Sie Gesprächsrunden, Meetings ein?
  • Lassen Sie Ihren Emotionen manchmal freien Lauf?
  • Verlangen Sie von Ihren Mitarbeitern professionelles Verhalten und halten sich selbst für unfehlbar?
  • Sind Sie die eigentliche Fachkraft und wissen immer die Lösung?
  • Finden Sie, dass Ihre Mitarbeiter schneller arbeiten könnten, zumindest so schnell und gut wie Sie?
  • Reden Sie hinter verschlossenen Türen über Ihre Kollegen?
  • Finden Sie, dass Information lieber tröpfchenweise verabreicht werden sollte?
  • Ändern Sie Ihre Meinung, ohne zu begründen, warum?
  • Verstehen Sie unter Führung, dass Sie vorgeben müssen, wie und was, und dass deshalb immer das Wort an Ihnen ist?[5]

Finden Sie sich wieder? Hervorragend! Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt der Besserung. Wahrscheinlich haben Sie daher auch selbst schon gemerkt, wo Sie sich verbessern können. Setzen Sie genau dort an.

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4. Krankheit und Krise: Zeigen Sie Empathie

Befinden sich Mitarbeitende in einer Ausnahmesituation, sind Sie als Führungskraft besonders gefragt. Von familiären Problemen bis zu Erkrankungen bringen die Kolleginnen und Kollegen alles mit an den Arbeitsplatz, was sie persönlich belastet. Während zur Professionalität der Mitarbeitenden gehört, Arbeit und Privatleben zu trennen, also auch in Krisenzeiten Wege zu finden, sich während der Arbeit auf selbige zu fokussieren, zeichnet Ihre Professionalität als Führungskraft aus, dass Sie den ganzen Menschen wahrnehmen:

  • Anzeichen ernst nehmen: Behalten Sie die Möglichkeit im Hinterkopf, dass Teammitglieder zeitweise persönlich unter Druck stehen, sich sorgen oder emotional belastet sein können. Fahrigkeit, Reizbarkeit, eine generelle Verhaltensänderung oder ein ungewohnter Leistungsabfall können Anzeichen für private Probleme sein. Es wäre fatal, in solchen Momenten den Chef heraushängen zu lassen. Suchen Sie vielmehr das persönliche Gespräch, selbstverständlich ohne unerwünscht in die Privatsphäre der Betroffenen einzudringen. Signalisieren Sie Offenheit und bieten Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten Hilfe an. Erkennen Sie aber auch eigene Grenzen. Sie können als Führungskraft keinen professionellen Therapeuten ersetzen und sollten dies auch nicht versuchen. Zuhören und Verständnis zeigen ist daher meistens der bessere Weg, als pseudo-psychologische Ratschläge zu geben.
  • Keine Patentrezepte: In Lebenskrisen aller Art bringen pauschale Ratschläge wenig. Sie praktizieren selbst seit der Trennung vom Vater Ihrer Kinder erfolgreich das wochenweise Wechselmodell mit gemeinsamem Sorgerecht, und allen Beteiligten geht es blendend damit? Die Kollegin, deren Partner plötzlich ausgezogen ist, durchlebt gerade eine ganz andere Phase und wird mit entsprechenden Ratschlägen wenig anfangen können. Auch bei Erkrankungen oder finanziellen Problemen schaden Patentrezepte eher als sie nützen. Schlimmstenfalls fühlen sich die Mitarbeitenden nicht ernst genommen, was die Situation evtl. noch verschlimmert, weil es zusätzliche Ängste schüren kann, etwa um die Sicherheit des eigenen Jobs.
  • Leistungsdefizite thematisieren: Als Führungskraft sollten Sie dafür sorgen, dass sich Ihre Mitarbeitenden wohlfühlen. Sie sind allerdings auch für das Leistungsniveau Ihrer Abteilung verantwortlich. Wirken sich persönliche Krisen oder gesundheitliche Beschwerden nachhaltig auf die Leistung aus, sollten Sie eine Lösung suchen, die beiden Seiten gerecht wird. Beugen Sie monatelangen Hängepartien vor, indem Sie rechtzeitig die Möglichkeit bieten, sich im Rahmen einer Krankschreibung, einer Kur oder eines unbezahlten Urlaubs zu erholen oder um die persönliche Situation regeln zu können. Ziehen Sie auch eine vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit in Betracht. Verständnis ist gut und wichtig, aber jemandem über einen längeren Zeitraum halbe Leistung bei vollem Gehalt zuzugestehen, ist auf Dauer auch schlecht für die Motivation der anderen, die vielleicht denken: „Ich habe auch Probleme und arbeite trotzdem voll“.

Wenn Sie auf persönliche Krisen angemessen reagieren, sichern Sie sich die Loyalität Ihrer Mitarbeitenden. Im Idealfall auch noch derjenigen, die aktuell gar nicht betroffen sind. Denn die Gewissheit, WENN mal was passiert, wird damit verständnisvoll umgegangen, gibt wiederum eine Sicherheit, die mancher Krise von vornherein vorbeugt. In besseren Zeiten wiederum führt das in der Regel zu zusätzlicher Motivation für die gemeinsamen Ziele, weil die Loyalität zu jemandem, der auch in schlechten Zeiten für einen da wäre, automatisch stärker wird.

5. Veränderung oder Krise: Vermitteln Sie Sicherheit

Nicht alle Menschen lieben Veränderungen – und die wenigsten Krisen. Dennoch gehört beides im Arbeitsleben zur Realität. Die Umstrukturierung einer Abteilung oder gar die Umwälzung einer gesamten Branche, wie etwa aktuell in der Automobilindustrie, verunsichert Mitarbeitende. Sorgen Sie dafür, dass diese sich so wenig wie möglich bedroht fühlen. Dabei können Sie kaum umsichtig genug sein. Wenn Sie beispielsweise Gespräche mit Mitarbeitenden anberaumen, liefern Sie zum Termin gleich das Thema mit. So vermeiden Sie, dass sich Ihr Gegenüber Sorgen macht, gekündigt oder versetzt zu werden, während Sie lediglich darum bitten wollen, sich um die neuen Praktikanten zu kümmern, oder gemeinsam eine Veränderung des Beschaffungsprozesses durchgehen möchten.

Innovation entsteht, wenn Mitarbeitende sich sicher genug fühlen, unbequeme Fragen zu stellen und Fehler zu machen.

Nicht alles eine Frage der Führung

Selbst wenn es Ihnen gelingt, umsichtig und geduldig ein angstfreies Klima zu schaffen, können Sie psychische Erkrankungen wie z. B. die generalisierte Angststörung[6] nicht verhindern, da sich diese zwar im Berufsleben auswirken kann, aber nicht in diesem Umfeld heilen lässt. Symptome können sein: „unkontrollierbare Sorge oder Reizbarkeit, die Unfähigkeit, sich zu fokussieren oder zu konzentrieren, sowie körperliche Unruhe, zum Beispiel rastloses Hin- und Herlaufen oder sichtbare Nervosität“.[7] Auch wenn eine Kollegin oder ein Kollege wie besessen um ein Thema kreist und gedanklich schwer davon loskommt, sollten Sie hellhörig werden. Zeigen Mitarbeitende Anzeichen einer derartigen Erkrankung, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Angst ist subjektiv. Insofern bringt es wenig, wenn Sie der betroffenen Person kurz vor der Panikattacke sagen, dass es keinen Grund gibt sich aufzuregen und alles nicht so schlimm ist. Dies wird eher einen nachteiligen Effekt haben, sodass zur Angst noch andere negative Gefühle hinzukommen.

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