Von HR HEUTE-Redaktion · 3 Minuten Lesezeit
Vor Krankheit ist niemand gefeit. Was aber, wenn Mitarbeitende länger ausfallen? Welche Bedeutung kommt dem betrieblichen Eingliederungsmanagement zu?
Im Schnitt ist jeder Arbeitnehmer in Deutschland 18,2 Tage im Jahr krankgeschrieben. Besonders häufig wegen Muskel- und Skeletterkrankungen, psychischen Störungen und Krankheiten des Atmungssystems. Fast zwei Drittel der Krankmeldungen sind nach spätestens einer Woche erledigt. In fast 80 Prozent der Fälle sind Mitarbeitende spätestens nach zwei Wochen wieder zurück im Job. Doch es gibt auch langwierige Erkrankungen mit hoher Genesungsdauer. Gerade psychische Leiden verursachen lange Ausfallzeiten. Laut iwd stehen in 5,4 Prozent aller Krankheitsfälle Beschäftigte dem Betrieb länger als sechs Wochen nicht zur Verfügung.
Unternehmen in der Fürsorgepflicht
Das stellt Unternehmen, Personalwesen und betroffene Mitarbeitende gleichermaßen vor Herausforderungen. Denn je länger die Ausfallzeit, desto drängender die Frage auf beiden Seiten, ob und wie die Langzeiterkrankten in den Job zurückfinden und wie sich Unternehmen und Mitarbeitende bestmöglich vorbereiten und auf die Rückkehr einstellen können.
Als eine Maßnahme zur Überwindung von Arbeitsunfähigkeit, ihrer Vorbeugung und zum Erhalt des Arbeitsplatzes hat der Gesetzgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement (kurz BEM) eingeführt.
Seit 2004 sind Arbeitgeber gemäß § 167 SGB IX verpflichtet, länger erkrankten Beschäftigten dieses Instrument zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit anzubieten. Dies gilt für alle Beschäftigten (auch Teilzeitbeschäftigte und Beschäftigte mit befristetem Arbeitsvertrag), die in den letzten 12 Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder länger als 6 Wochen wiederholt arbeitsunfähig waren – unabhängig von der Art der Erkrankung.
Arbeitgeber und Interessensvertretung der Beschäftigten (Betriebs- oder Personalrat) müssen dann klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und einem erneuten Ausfall vorgebeugt werden kann. Ziel der Maßnahmen ist es, den Arbeitsplatz zu erhalten. Das BEM ist somit nicht einfach ein Krankenrückkehrgespräch!
Vorteile des BEM
Zu den Vorteilen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gehören:
- dauerhafte Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit, insbesondere älterer Menschen, auch hinsichtlich der Folgen des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels
- Förderung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten
- Verringerung von Fehlzeiten
- Reduzierung von Personalkosten
- Schutz vor Arbeitslosigkeit und Frühverrentung
- Entlastung der Sozialkassen
Voraussetzungen des BEM
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements sind:
- das aktive Mitwirken der einzugliedernden Person
- eine gemeinsame Zielsetzung
- die Maßnahmen glaubwürdig im Betrieb zu integrieren
- ein transparentes Vorgehen insgesamt
- flexibel zu bleiben – nicht jede Maßnahme ist umsetzbar und führt zum Erfolg
- die Verschwiegenheit und den Datenschutz für eine vertrauenswürdige Zusammenarbeit sicherzustellen
- die interne Unterstützung durch die Interessensvertretung und einen qualifizierten betrieblichen BEM-Verantwortlichen zu gewährleisten
- die Zusammenarbeit mit Reha-Trägern und ähnlichen Anbietern zu fördern
- die Integration in ein übergreifendes betriebliches Gesundheitsmanagement, das auf Prävention und Gesundheitsförderung ausgerichtet ist
BEM ist individuelle Aufgabe der Beteiligten
Wie das betriebliche Eingliederungsmanagement im Detail realisiert wird, ist gesetzlich nicht vorgegeben, sondern obliegt dem jeweiligen Betrieb. Vorgegeben ist lediglich, dass der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten muss.
Die Teilnahme ist für den betroffenen Mitarbeitenden allerdings freiwillig. Das bedeutet, der Beschäftigte muss den Maßnahmen zustimmen. Eine Ablehnung trotz ordnungsgemäßer Aufklärung über das BEM muss nicht begründet werden und hat im Fall der Fälle keine direkten arbeitsrechtlichen Konsequenzen, ist für den Beschäftigten also kündigungsneutral.
Apropos Kündigung: Eine krankheitsbedingte Kündigung ist immer etwas heikel und muss vom Arbeitgeber gut geprüft und vorbereitet werden. Denn die Kündigung von Langzeitkranken ist immer die „Ultima Ratio“. D. h., es müssen alle milderen Mittel ausgeschöpft sein. Und hier kommt das betriebliche Eingliederungsmanagement ins Spiel. Wird gegen die Kündigung geklagt, prüft das Arbeitsgericht in drei Stufen, ob tatsächlich unzumutbare Fehlzeiten, eine negative Prognose und eine Interessensabwägung zugunsten des Arbeitgebers vorliegen. Das BEM ist hier ein Indikator dafür, dass der Arbeitgeber alles versucht hat, die Arbeitsfähigkeit herzustellen, den Arbeitsplatz zu erhalten oder einen geeigneten zu schaffen. Das BEM ist zwar keine formelle Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung, allerdings konkretisiert es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Fakt ist, dass krankheitsbedingte Kündigungen ohne vorheriges, ordnungsgemäßes BEM meistens scheitern.
Von der Umgestaltung des Arbeitsplatzes bis zur Rehabilitation
Stimmt der Beschäftigte dem BEM zu, wird in einem „organisierten Suchprozess“ geprüft, ob und wie der Arbeitnehmer wieder beschäftigt werden kann. Zu diesem Prozess gehören Gespräche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Änderungen der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie mögliche Umgestaltungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit. Ist ein Beschäftigter gesundheitlich nicht mehr in der Lage, seine alte Tätigkeit weiterzuführen, kann sogar eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz notwendig werden. Neben arbeitsbezogenen Maßnahmen sollten auch Angebote wie Reha, Kur oder Gesundheitstrainings berücksichtigt werden.
Arbeitsversuch: Wiedereingliederung konkret
Das BEM ist übrigens nicht zu verwechseln mit der Vorgehensweise, die auch Arbeitsversuch nach „Hamburger Modell“ genannt wird und einen stufenweisen Wiedereinstieg bzw. eine langsame Integration in den Arbeitsalltag ermöglichen soll (gemäß § 74 SGB V und § 44 SGB IX). Es kommt für Beschäftigte infrage, die als arbeitsunfähig gelten, nach einer Erkrankung zurück in ihren Beruf möchten, laut Bescheinigung des behandelnden Arztes teilweise wieder belastbar sind und die Zustimmung des Arbeitgebers haben.
Letzteres ist der entscheidende Unterschied zum betrieblichen Eingliederungsmanagement: Das Hamburger Modell ist für den Arbeitgeber nicht verpflichtend und wird von der gesetzlichen Krankenkasse finanziert. Außerdem ist es mit der alten Arbeitsstelle verbunden und damit weniger ergebnisoffen als das BEM. Es zielt über den vom Arzt erstellten Stufenplan konkret darauf ab, den Arbeitnehmer mit jeder Woche stärker an den Alltag zu gewöhnen. Dabei wird die Arbeitszeit oder -belastung zuerst reduziert und dann über einen festgesetzten Zeitraum zwischen zwei Wochen und sechs Monaten schrittweise wieder gesteigert.
Ein erfolgreiches BEM beginnt beim Datenschutz
Dass das betriebliche Eingliederungsmanagement sowohl für Arbeitgeber als auch Beschäftigte eine gute Sache ist, sollte einleuchtend sein.
Doch wie können Unternehmen ihre Mitarbeitenden zur Teilnahme motivieren? Auch wenn Krankheiten nicht offengelegt werden müssen, geht es ja doch darum, den daraus resultierenden Einschränkungen im Arbeitsalltag angemessen zu begegnen. Kurz: Es geht unter Umständen um gesundheitsbezogene, sensible Daten.
Daher sind ein professionelles Eingliederungsmanagement und die Einhaltung der DSGVO und aller Datenschutzbestimmungen maßgeblich dafür, dass Mitarbeitende Vertrauen fassen und sich für den Prozess öffnen können. Das fängt z. B. schon damit an, dass der Arbeitgeber genau darauf achtet, welche Daten in die Personalakte aufgenommen werden dürfen, welche in einer separaten BEM-Akte (z.B. Prognosen und Diagnosen) zu führen sind und welche Privatsache sind.
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