Selbst ist das Team!?
Von Jeanette Goebes · 3 Minuten Lesezeit
Welche Rahmenbedingungen müssen für selbstorganisierte Circles geschaffen werden und wie lässt es sich konkret als Circle-Mitglied im Alltag arbeiten?
Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Unter dem Begriff „New Work“ beschrieb Frithjof Bergmann bereits in den 70er-Jahren die Entwicklung von klassischer Lohnarbeit hin zu sinnvollem und selbstverwirklichendem Arbeiten – verbunden mit einem Wertewandel in der Gesellschaft. Nicht nur bedingt durch die Pandemie wurde die Umstellung von Organisationsmodellen und Arbeitsformen dahingehend weiter beschleunigt.
Bereits zwei Circles „leben“ bei Empleox als selbstorganisierte Teams. Im Interview sprechen Anne Seidel, Mitglied des Projektmanagement-Team-Circles, und Savina Schlichte, New Work Officer, über ihre Erfahrungen und was hinter dem Konzept steht.
Über unseren Interview-Gast
Savina Schlichte
unterstützt in ihrer Tätigkeit als New Work Officer bei Empleox die Mitarbeitenden, indem sie ihnen sowohl beratend als auch moderierend zur Seite steht, um die passenden Wege in eine agile und eigenverantwortliche Organisation zu finden.
Woher kam der Impuls, selbstorganisiertes Arbeiten bei Empleox zu implementieren?
Savina: Der Impuls kam vom Top-Management. Unsere Geschäftsführer bilden sich regelmäßig in New-Work-Themen weiter und beschäftigen sich mit Fragen rund um den Sinn von Arbeit und damit, wie Menschen arbeiten und geführt werden möchten. Ihre Ideen wollten sie ins Unternehmen einbringen. Eine radikale Umstellung erschien ihnen allerdings wenig erfolgversprechend. Daher haben sie sich zum Start für das Thema Selbstorganisation sowie für die Umsetzung im Projektmanagement-Team entschieden. Ein Team, das ohnehin sehr selbstständig und eigenverantwortlich arbeitet.
Welche Rahmenbedingungen hat das Team geschaffen, um das Thema umzusetzen?
Savina: Wichtig war uns, ein klares Konzept zu entwickeln und Schritte zu definieren, wie wir dieses bei uns etablieren können. Dafür haben wir uns Unterstützung von einem erfahrenen Beratungshaus geholt. Wir haben uns die gängigen Modelle angeschaut und uns letztendlich für ein Vorgehen, angelehnt an das Holacracy-Konzept von Brian Robertson, entschieden. Das Konzept sieht vor, dass es keine Führungskraft im Team mehr gibt, sondern alle Aufgaben im Circle verteilt werden. In drei Workshops haben wir gemeinsam mit dem Projektmanagement-Team die Strukturen und Inhalte erarbeitet.
Zentrale Fragen waren:
- Was ist der Purpose* und was sind die Ziele des selbstorganisierten Teams?
- Welche Rollen, Aufgaben und Zuständigkeiten gibt es und wie werden diese verteilt?
- Wie werden Entscheidungen getroffen?
*Purpose bedeutet so viel wie Absicht, Entschlossenheit oder Sinn. Vor allem die Sinnhaftigkeit ist hier ein zentraler Begriff. Purpose beschäftigt sich daher stark mit der Frage: Warum tut ein Mensch etwas? Welchen Sinn sieht er in seinem Handeln? In Bezug auf die Arbeitswelt: Welchen höheren Zweck verfolgt ein Unternehmen?
Was bedeutet deine Position als New Work Officer im Zusammenhang mit der Selbstorganisation?
Savina: Ich stehe dem Circle – und auch allen Mitgliedern einzeln – mit Rat und Tat zur Seite, vor allem was fachliche Fragen zur Selbstorganisation angeht. Persönliche oder vertrauliche Fragen können mit der disziplinarischen Führung eine Ebene höher besprochen werden. Auch die Geschäftsführung hat bei uns immer ein offenes Ohr.
Anne, du bist Teil des selbstorganisierten Circles. Was war dein erster Eindruck von diesem Projekt?
Anne: Ich komme aus dem HR-Bereich, daher war ich mit dem Thema bereits vertraut. Ich habe das Konzept aber noch nie in der Praxis erlebt. Daher freue ich mich, dass unser Unternehmen so mutig ist, Neues auszuprobieren. Und zwar nicht nur in dem Sinne, einfach eine neue Stelle zu schaffen – nämlich die des New Work Officer von Savina. Sondern dass Empleox mit dem Circle tatsächlich in die Umsetzung geht.
Project Manager, Empleox GmbH
Anne Seidel
steuert & organisiert als Projekt-Managerin bei Empleox größere Kundenprojekte. Dabei leitet und unterstützt sie die KollegInnen sowie Kunden auf dem Weg durch ihre HR-Projekte. Außerdem ist sie in ihrer aktuellen Rolle als „Botschafterin“ Teil des Circles.
Welche Rolle und Aufgaben hast du im Circle?
Anne: Jeder von uns im Projektmanagement-Circle arbeitet als Projektmanager. Darüber hinaus haben wir bestimmte Rollen übernommen, die wir im Workshop zuvor definiert hatten. Dazu gehören Aufgaben, die normalerweise Führungskräfte übernehmen. Ich hatte anfangs zum einen die Rolle des „Facilitators“. Diese beinhaltet, unsere Meetings zu moderieren und dafür zu sorgen, dass die vorgegebenen beziehungsweise von uns ausgestalteten Formate und Regeln eingehalten werden. Aktuell habe ich die Aufgabe der „Botschafterin“. Dabei bin ich das Bindeglied zwischen dem Circle und der obersten Führungsebene. Konkret heißt das, dass ich proaktiv Verbesserungsvorschläge und Feedback einbringe, aber auch definierte Themen vorantreibe und über Ereignisse informiere.
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Welche Aha-Momente hast du durch die neue Arbeitsweise erlebt?
Anne: Zu Beginn war es schwierig zu akzeptieren, dass wir innerhalb des Circles häufig andere Meinungen haben als die jeweiligen Rolleninhaber, dass wir uns aber gar nicht im Team abstimmen müssen, sondern dass Entscheidungen für die einzelnen Arbeits- und Zuständigkeitsbereiche eigenständig von den Rolleninhabern getroffen und umgesetzt werden. Mein erster Impuls war immer, den anderen reinzureden. Das sieht dieses Konzept aber nicht vor. Natürlich dürfen Expertenmeinungen aus dem Team eingeholt werden – Stichwort Schwarmintelligenz –, die sind jedoch nicht bindend.
Eine weitere Erkenntnis war, dass der Umgang mit Spannungen ganz anders ist als in einem hierarchischen Team. Kollegen aus dem Weg zu gehen, funktioniert im Circle nicht – das behindert die Zusammenarbeit. Jedes Störgefühl muss erst bearbeitet werden, so dass es gut weitergehen kann.
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Wie bist du damit umgegangen, plötzlich Führungsaufgaben zu übernehmen?
Anne: Es fiel mir relativ leicht, da ich bereits eine Führungsposition innehatte. Aber grundsätzlich denke ich, dass Führungsaufgaben ziemlich herausfordernd sein können. Zumindest dann, wenn man aus einer klaren Struktur mit einem starken Vorgesetzten kommt, der sich um Vieles gekümmert hat. Die Circle-Arbeit bedeutet umzudenken, sprich in diesem Fall, die klassische Arbeit als Projektmanagerin mit Führungsaufgaben zu verbinden. Gleichzeitig bietet das die Chance, mit der Führungsebene in Berührung zu kommen – was unter normalen Umständen erfahrungsgemäß selten passiert.
Bei der Selbstorganisation fallen Hierarchien weg. Funktioniert das in der Praxis wirklich?
Savina: In unserem Fall gibt es immer noch eine Hierarchie, weil der Circle in die Gesamtorganisation von Empleox integriert ist und dazu passen muss. Im Circle selbst ist die Hierarchie anders verteilt. Denn jede Rolle ist gleichwertig und wichtig. Abgesehen davon funktioniert das Konzept im Alltag tatsächlich, weil es einen klaren Aufbau der Circles gibt und jeder Circle einem klaren Zweck folgt.
Wie lautet dein Fazit nach dem ersten Jahr?
Savina: Wenn ich jetzt auf ein Jahr Selbstorganisation zurückblicke, fällt mir vor allem die positive persönliche Resonanz der Beteiligten extrem auf. Alle berichten übereinstimmend, dass sie lieber weiter in ihrem selbst organisierten Team arbeiten möchten als eine normale Führungskraft zurückzubekommen. Sie sind sehr stolz auf das, was sie dort gemeinsam gestalten und das wiederum bestärkt uns als GestalterInnen des Unternehmens, die Circles weiter auszudehnen - aber eben nur dort, wo sie uns nach sorgfältiger Prüfung vorteilhaft für alle Beteiligten erscheinen. Ich bin selbst gespannt darauf!
Vielen Dank für das tolle Gespräch & eure Zeit!
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