Von Iris Seithel · 3 Minuten Lesezeit
Sprachanalyse ist einer der aktuellen Recruiting Trends um geeignete Mitarbeitende zu finden. Welche Chancen birgt der Einsatz einer solchen Software?
Sprich mit mir und ich sage Dir, wer du bist. Digitalisierung konkret.
Ein Computer führt die Vorstellungsgespräche mit Ihren Bewerbenden und die Software übernimmt einige Aufgaben der klassischen Recruiter. Das klingt erstmal nach Science-Fiction, ist aber gar nicht so abwegig, wie Sie im ersten Moment vielleicht denken. Was verbirgt sich hinter dem neuen Trend im Recruiting, Bewerbende zu einem Interview mit dem Computer zu bitten?
Beispiel Randstadt – Wissenschaftliche Sprachanalyse im Recruiting
Bewirbt man sich beispielsweise beim Personaldienstleister Randstadt auf eine offene Stelle wird erst einmal der Lebenslauf geprüft und die überzeugenden Bewerbenden werden anschließend zu einem Telefoninterview eingeladen. Bis hier her Recruiting wie man es kennt. Wenn der Kandidat oder die Kandidatin dann einen Schritt weiterkommt, werden sie zu einem 15-minütigen Interview mit einer Software gebeten. Dort sollen sie dem Tool zum Beispiel von einem besonders schönen Erlebnis oder einem typischen Sonntag erzählen. Doch wozu das Ganze? Randstadt möchte einen tieferen Einblick in die Persönlichkeit der Bewerbenden bekommen. Das Tool analysiert die Sprache der Bewerbenden wissenschaftlich und fertigt auf dieser Basis ein Persönlichkeitsprofil an. Während einige große Unternehmen das Verfahren testen, streiten sich Wissenschaftler noch über dessen Genauigkeit. Im Mittelstand ist das Tool aktuell noch nicht im Einsatz.
Das steckt in der Sprachanalyse-Software
Die Idee und die passende Software für die Sprachanalyse von Bewerbenden, wurde von einem Unternehmen aus Aachen in Zusammenarbeit mit Informatikern und Informatikerinnen, Psychologinnen und Psychologen und der RTWH Aachen konzipiert.
Die Software untersucht das Gesprochene der Bewerbenden auf verschiedene Aspekte wie beispielsweise die Anzahl der genutzten Verben, ob Worte wie „ich“ oder „wir“ verwendet werden oder ob die Bewerberin oder der Bewerber stattdessen eher „man“ sagt. Außerdem achtet die Software auf Füllwörter wie „hm“ oder „ähm“ sowie Sprechpausen, die Lautstärke und die Schwankungen in der Tonlage geachtet. Das Ganze funktioniert trotz unterschiedlicher Dialekte. Die Sprache der Bewerbenden wird also dekodiert und gibt Aufschluss über die Persönlichkeit der Befragten.
Die Sprachanalyse-Software wertet zum Beispiel aus:
- Die kommunikative Kompetenz: Sprachkomplexität, Sprachflüssigkeit etc.
- die individuelle Kompetenz: Durchsetzungsvermögen, Einsatzbereitschaft etc.
- die Persönlichkeitsmerkmale: Kontaktfreude, Ausdauer etc.
Eine weltweite sprachpsychologische Studie ist die Grundlage für das Verfahren. Dabei wurden von 5.500 Menschen 43 psychologische Merkmale erhoben. Außerdem wurde von den Teilnehmenden Sprachproben genommen und diese entsprechend klassifiziert. Im Anschluss wurden die untersuchten Sprachmerkmale mit den Persönlichkeiten der einzelnen Probanden verglichen: Wo gab es Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten, welche Auffälligkeiten gab es? Auf Basis dieser Untersuchungen hat man dann letztendlich die Software entwickelt.
Digitalisierung: Chancen und Risiken der Sprachanalyse im Recruiting
Die Methode der Sprachanalyse ist noch relativ neu und unbekannt auf dem Markt. Das heißt, Bewerbende, die mit dieser Recruitierungsmethode konfrontiert werden, sind vermutlich erst einmal irritiert und abgeschreckt. Es wäre durchaus möglich, dass sich Bewerbende der Sprachanalyse verweigern oder ihre Bewerbung sogar zurückziehen.
Deshalb ist es wichtig, den Bewerbenden ganz genau zu erklären, wie die Methode funktioniert, was auf sie zukommt und welche Analysen durchgeführt werden. Darüber hinaus sollte der Datenschutz angesprochen werden. Die Aufnahmen sollten nur über einen sehr kurzen Zeitraum gespeichert werden und die Bewerberin oder der Bewerber muss vorher darüber informiert werden. Außerdem dürfen die Teilnehmende nicht das Gefühl haben, von einem Computer abgespeist zu werden.
Der persönliche Kontakt zu Bewerbenden ist bei diesem Auswahlverfahren besonders wichtig. Daher ist ein Vorgehen wie bei Randstadt durchaus zu empfehlen: Erst wird ein persönliches Telefoninterview geführt, wodurch die Teilnehmenden bereits eine eigene Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner im Unternehmen hat. Erst dann wird zur Vertiefung der Bewerberanalyse das Interview mit der Software geführt.
Führt Nervosität zu falschen Ergebnissen der Software?
Ein Interview ist eine Stresssituation für Bewerbende. Sie werden nervös, was sich natürlich auf die Art der Sprache auswirkt. Verfälscht das die Analyse des Tools? Laut den Entwicklenden der Software hat Nervosität oder auch das bewusste Verstellen von Sprache, Wortwahl, Dialekt und Sprechweise keine Auswirkungen auf das Ergebnis. Das Tool kann diese Faktoren ausblenden. Auch hierzu wurden Untersuchungen durchgeführt die zeigen, dass sich das Sprachgerüst, also die Art wie Bewerbende ihre Kommunikation bilden, nicht so einfach beeinflussen oder verändern lässt. Dazu wurde ein Test durchgeführt, bei dem sich Personen einmal nicht und einmal ganz bewusst verstellt haben. Ihre Persönlichkeitsmerkmale blieben in beiden Durchgängen identisch und unverändert.
Objektivere Einschätzung
Für Unternehmen bietet die Analyse der Sprache ihrer Bewerbenden ein enormes Potenzial. Personalverantwortliche lassen sich leicht von vielen verschiedenen Aspekten beeinflussen und haben es daher häufig schwer, eine objektive Einschätzung zu Kandidatinnen und Kandidaten abzugeben. Das Tool hingegen analysiert Bewerbende völlig objektiv und er kann somit gut mit den Soll-Anforderungen eines Stellenprofils abgeglichen werden. Psychologen und Linguisten sind von der Funktionsweise überzeugt und empfehlen die Software auch im Mittelstand zu testen.
Kann sich die Sprachanalyse am Markt durchsetzen?
Letztendlich entscheiden die Bewerber, ob sich so ein Verfahren durchsetzt. In einem Stellenmarkt, der sich in immer mehr Bereichen zu mehr Stellen als qualifizierten Kanditaten hin entwickelt ist das noch unklar. Nur wenn sich eine breite Masse der Bewerber darauf einlässt, kann sich die Sprachanalyse durchsetzen.
Personalchefs sollten sich aber bewusst machen, dass dieses Verfahren nur eine Ergänzung im Recruitingprozess sein kann. Persönliche Gespräche mit einem Kandidaten werden keinesfalls ersetzt.
Das Verfahren ist noch recht neu. Ob es sich auch langfristig bewährt wird die Zeit zeigen. Ein spannendes Thema mit dem Sie sich als Personalchef beschäftigen sollten, ist es in jedem Fall.
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