Zu starr für die dynamische Arbeitswelt?
Von HR HEUTE-Redaktion · 2 Minuten Lesezeit
Kompetenzmodelle stellen ein wichtiges Hilfsmittel dar, um HR-Aktivitäten vorzunehmen, doch in der Praxis wird das Modell als schlecht anwendbar empfunden.
Brauchen mittelständische Unternehmen ein Kompetenzmodell?
Diese Frage gibt nicht erst seit gestern Anlass für Diskussionen. BefürworterInnen sehen das Kompetenzmodell als Dreh- und Angelpunkt einer strategischen Organisations- und Personalentwicklung. Denn es beschreibt, welche unternehmensspezifischen Kernkompetenzen Mitarbeitende mitbringen beziehungsweise entwickeln müssen, damit ein Unternehmen seine Ziele erreichen kann. So dient es zur Orientierung bei der Personaleinstellung und -entwicklung und sorgt dafür, dass die Mitarbeitenden auch den gewünschten Werten im Unternehmen entsprechen. Klingt per se vernünftig, doch in der Praxis wird das Kompetenzmodell oft als schlecht anwendbar empfunden. Zu theoretisch, zu abstrakt und zu kompliziert, so die Meinung vieler Führungskräfte. Das liegt unter anderem daran, dass Kompetenzmodelle viel zu groß angelegt werden, wie der Experte für Personal- und Unternehmensführung Prof. Dr. Wolfgang Jäger von der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden weiß: „Es werden wahre Kompetenzschlösser aufgebaut, die gerade für mittelständische Unternehmen nicht praktikabel sind.“
So finden sich eine Vielzahl an Kompetenzen in den Modellen, die akribisch ausformuliert sind. Darüber hinaus werden funktions-, rollen- oder positionsspezifische Anforderungen abgeleitet und in mehrstufigen Kompetenzkatalogen niedergeschrieben. Ein äußerst zeitintensiver Aufwand, den sich nur wenige Mittelständler leisten können. Die detaillierte enge Definition der Kompetenzen wirkt sich nach Meinung von Martin Kersting, Professor für Personalpsychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, zudem eher kontraproduktiv aus. „Was nutzt es, wenn ich zwar alles messen und in Kennzahlen fassen kann, ich am Ende aber ein überkomplexes und starres System habe, mit dem es mir nicht möglich ist, praxisrelevante, zukunftsorientierte Aussagen für den dynamischen Unternehmensalltag abzuleiten?“, kritisiert er.
Neue Kompetenzen sind nötig
In einer Arbeitswelt, die von Veränderungen geprägt ist und wo alles agiler werden muss, scheinen Kompetenzmodelle ohnehin nicht mehr recht ins Bild zu passen. „Die Kompetenzmodelle, die man auf dem Markt vorfindet, sind rückwärtsgerichtet‘. Sie sind vor vielen Jahren entstanden und decken damit das, was heute erfolgentscheidend ist, nicht ab“, sagt Professor Wolfgang Jäger – und spielt damit auf die Digitalisierung an: Im Zuge der digitalen Transformation entstehen neue Geschäftsmodelle, die auch neue Kompetenzen erfordern. Um diese neuen Kompetenzen zu entwickeln, sind Kompetenzmodelle laut Jäger abermals nicht geeignet. „Die Modelle sind viel zu schwerfällig und unbeweglich. Bis Kompetenzen hier festgeschrieben sind, dauert es schlicht zu lang. Unter Umständen haben sich schon wieder neue ergeben. Die Unternehmen müssen in ihrer Kompetenzentwicklung und im Talent Management aber agil werden. Gerade für mittelständische Unternehmen ist das die Chance, im War for Talents mitzuhalten“, erläutert er.
Digitales Talentmanagement für Mitarbeitende
Das Talentmanagement benötigt Führungskräfte als Vorbilder und Vorreitende für den digitalen Wandel. Digitale Talente werden benötigt.
Falsche Annahmen
In Zeiten von Individualität, Vielfalt, Teamwork, mangelnder Vorhersagbarkeit und notwendiger Anpassungsfähigkeit können Kompetenzmodelle sogar toxisch oder dysfunktional sein, ist Prof. Dr. Armin Trost, Professor für Human Resource Management an der Hochschule Furtwangen, überzeugt. Er steht der Arbeit mit Kompetenzmodellen im Talent Management grundsätzlich skeptisch gegenüber. „Die Anwendung solcher Modelle basiert auf der Annahme, es käme auf das einzelne Individuum an und es gäbe ein bestimmtes Set an Kompetenzen, das erforderlich ist, um in einer Rolle erfolgreich zu sein, – sei es als Führungskraft oder als Experte. Diese Annahme war schon immer problematisch“, so der Talent-Management-Experte. Seiner Meinung nach tun gerade mittelständische Unternehmen gut daran, weniger darauf zu fokussieren, wie Mitarbeitende idealerweise sein sollen. „Viel entscheidender ist die Frage, wie die Mitarbeitenden ihre individuellen Stärken im Gesamtkontext des Unternehmens sinnvoll einbringen können“, sagt Trost.
Fazit: Eher ein Auslaufmodell
Zu behäbig für die sich schnell wandelnde Wirtschaftswelt. Zu wenig am Menschen als Individuum orientiert – gerade heute, wo die Unternehmen gefordert sind, Talente zu binden. Insbesondere für mittelständische Unternehmen sieht es so aus, dass das Kompetenzmodell mehr und mehr zum Auslaufmodell mutiert. Wer es dennoch einsetzen will, braucht auf jeden Fall Zeit – nicht nur, um es professionell einzuführen, sondern auch, um es stets der Arbeitswelt anzupassen und weiterzuentwickeln.
Autorin: Petra Walther, im Auftrag von EMPLEOX und der Personalwirtschaft. Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.personalwirtschaft.de
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