Von HR HEUTE-Redaktion · 4 Minuten Lesezeit
Unter keinen Umständen das Geschlecht in die Stellenanzeige schreiben – wirklich? Das AGG bietet begründete Spielräume. Keine Angst vor AGG-Hoppern!
Das AGG soll Arbeitnehmer vor Diskriminierung schützen. Für Arbeitgeber hingegen birgt es Risiken. So ging der Fall eines Jurastudenten bis vors BAG, der sich mit fehlerhaften Anschreiben und ohne erkennbare Motivation weiträumig auf Stellenangebote für „Sekretärinnen“ bewarb. Von Unternehmen, die die Bewerbung ignorierten, forderte er Entschädigung, da er als Mann diskriminiert worden sei. Letztlich entschied das BAG im September 2024, dass ihm keine Entschädigung zustehe. Er habe das AGG vorsätzlich missbraucht. Nicht immer liegen die Fälle so eindeutig. Das AGG ist und bleibt eine Herausforderung. Lesen Sie, wie Sie als Arbeitgeber Ihren Spielraum beim Recruiting ausschöpfen, ohne sich den Vorwurf der Diskriminierung einzuhandeln.
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1. Background Checks: in engen Grenzen erlaubt
Was die Pflichten von Arbeitgebern angeht, gilt die DACH-Region als strengste der Welt. Neben dem AGG und dem Arbeitsrecht bringt auch der Datenschutz einige Herausforderungen mit sich. AGG-Hopper wie der eingangs erwähnte Jurastudent machen es sich beispielsweise zunutze, indem sie – was ihr gutes Recht ist – Auskunft einfordern, welche personenbezogenen Daten potenzielle Arbeitgeber über sie gesammelt haben. Innerhalb eines Monats muss ihnen eine Gesamtaufstellung der Daten sowie ein Screenshot des HR-Programms übermittelt werden. Sonst drohen Schadenersatzforderungen.
Kein Wunder, dass Schätzungen zufolge nur etwa ein Zehntel der nach Mitarbeiterzahlen Top-100-Unternhemen in Deutschland ihren Bewerberinnen und Bewerbern mit Background Checks, auch Pre-Employment-Screening genannt, auf den Zahn fühlen. Im Blick haben sie dabei Risiken wie Korruption, Spionage oder die Missachtung von Sanktionen, also Compliance-Gründe. Zweifellos zählt es zu Ihren berechtigten Interessen als Arbeitgeber, keine Menschen einzustellen, deren Namen sich auf Sanktionslisten finden. Möglich sind solche Background Checks aber nur, wenn die Bewerbenden zuvor ihr Einverständnis gegeben haben.
Heute ist es ein Leichtes, Personen zu googeln, um sich ein Bild von ihnen zu machen. Aber lohnt es sich im Recruiting wirklich, rechtliche Risiken einzugehen? Was sagt ein Bild der leicht bekleideten Claudia auf einer Sommerparty vor zehn Jahren über ihre Eignung als Buchhalterin aus? Können Sie besser einschätzen, ob Mateo das Zeug zum Vertriebsleiter hat, wenn Sie wissen, dass er FC-, VFL- oder Bayern-Fan ist? All diese Informationen dürfen Sie nicht verwenden, auch wenn sie frei zugänglich sind, da Sie als Arbeitgeber daran kein berechtigtes Interesse haben.
Alle durch das AGG geschützten Aspekte (Rasse, ethnischen Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) dürfen bei der Einstellung im Prinzip keine Rolle spielen. Ziehen Sie öffentlich zugängliche Informationen nur zurate, wenn diese etwas über die Eignung für eine bestimmte Stelle aussagen. Suchen Sie etwa jemanden für die internationale Einkaufsorganisation, sollte es sie stutzig machen, wenn er sich in sozialen Netzwerken in hanebüchenem Englisch äußert, während das Bewerbungsschreiben in einwandfreiem Business-Englisch formuliert ist. Hier lohnt es sich nachzufragen.
Suchen Sie Fachpersonal für die Forschungsabteilung und stellen fest, dass eine Bewerberin auf einem Karrierenetzwerk regelmäßig brillante Artikel zu Ihrem Thema veröffentlicht, umso besser: Möglicherweise haben Sie Ihre Traumkandidatin schon gefunden. Die Differenzierung zwischen privaten und beruflichen sozialen Medien hat für die rechtliche Beurteilung an Bedeutung verloren, da sich diese aneinander annähern. Überlassen Sie etwaige Background Checks speziell dafür weitergebildeten Mitarbeitenden oder entsprechenden Dienstleistern, die die aktuelle Rechtslage und -sprechung kennen. Es versteht sich von selbst, dass Sie nur öffentlich zugängliche Informationen in Betracht ziehen können. Kontakt- und Freundschaftsanfragen zur Informationsgewinnung, womöglich gar mit Fake-Profilen, sind nicht nur nicht erlaubt, sondern rücken Sie als Arbeitgeber in ein schlechtes Licht.
2. Stellenausschreibungen: eine Frage der Platzierung
Mit seiner grundsätzlichen Beobachtung liegt unser Jurastudent richtig: Stellenausschreibungen für „Sekretärinnen“ verstoßen gegen das AGG, weil sie Männer diskriminieren. Zwar müssen Stellenanzeigen neutral formuliert werden. Allerdings können Arbeitgeber diese beliebig platzieren. In einer aufgesplitterten, pluralen Medienlandschaft eröffnen sich damit große Spielräume für Sie: Je nachdem, wo Sie Ihr Angebot veröffentlichen, erreichen Sie ganz unterschiedliche Zielgruppen. Suchen Sie eher jüngere Mitarbeitende gehen Sie ausschließlich über soziale Medien oder spezielle Internetportale. Es gibt sowohl Print- als auch Onlinemedien, die eher von Frauen oder eher von Männern gelesen werden. Auch das können Sie sich zunutze machen. Einen erfahrenen Lageristen finden Sie möglicherweise am besten über eine Anzeige im Wochenblatt.
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3. Mit „positiven Maßnahmen“ Gerechtigkeit fördern
Das AGG erlaubt auch „eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters“ für den Fall, dass sie „objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist“. Sozialpläne sind hierfür ein typischer Anwendungsfall. Auch Zwecke wie die berufliche Eingliederung bestimmter Altersgruppen und von Personen mit Fürsorgepflicht fallen hierunter. Ferner haben Religionsgemeinschaften und ihnen zugeordnete Organisationen wie Bildungs- und Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und so weiter das Recht, die Konfession oder Weltanschauung als Einstellungskriterium zu berücksichtigen, allerdings nur in Bereichen, in denen die Identität der Organisation zum Tragen kommt. Die Bewerbungsunterlagen von Hausmeistern, Küchenpersonal und auch Pflegekräften müssen unabhängig von ihrer Konfession und Weltanschauung berücksichtigt werden.
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4. Leidiges Thema: „Kopftuchverbot“
Geht es um Weltanschauung, gerät schnell das Kopftuch als umstrittenes religiöses Symbol in den Blick. Der EuGH entschied im Jahr 2022, dass ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz nicht gegen Antidiskriminierungsrecht verstößt. Geklagt hatte eine belgische Studentin, der ein Praktikumsplatz bei einer Wohnungsbaugenossenschaft verwehrt wurde, weil sie nicht ohne Kopftuch arbeiten wollte. Die Gesellschaft berief sich dabei auf ein internes Verbot, religiöse, weltanschauliche oder spirituelle Zeichen sichtbar zu tragen. Da alle Religionen und Weltanschauungen in diesem Fall gleichbehandelt werden, liegt aus Sicht des Gerichtshofs keine Diskriminierung vor. Allerdings spielte der EuGH den Ball an die nationalen Gerichte zurück. Denn es sieht durchaus die Gefahr einer mittelbaren Diskriminierung. So könne es dazu kommen, dass Vertreterinnen einer Religion im Rahmen der Neutralitätspolitik häufiger abgelehnt werden als andere Bewerber – etwa, weil die kleine Halskette mit christlichem oder jüdischem Symbol niemandem auffällt. Wichtig ist wie bei den „positiven Maßnahmen“, dass Sie Kriterien transparent und einheitlich definieren und konsequent anwenden.
5. Die Kunden haben ein Wörtchen mitzureden
Das Antidiskriminierungsgesetz regelt die Bevorzugung bestimmter Eigenschaften, die „wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist“. So wurde beispielsweise die Klage eines männlichen Bewerbers auf eine Erzieherinnenstelle in einem Mädcheninternat abgewiesen, weil die Bewohnerinnen im Nachtdienst von einer gleichgeschlechtlichen Person betreut werden sollten.
Dabei handelt es sich um eine Variante der Kundenerwartung (Customer Preference), die in der AGG-Rechtsprechung stark gewichtet wird. „Das BAG geht von folgendem Grundsatz aus: Liegt einem Unternehmenskonzept eine bestimmte Erwartung Dritter zugrunde, darf diese nicht ihrerseits diskriminierend sein. Insoweit ist davon auszugehen, dass Erwartungen Dritter, die auf deren Schamgefühl beruhen, ebenso wie die Notwendigkeit einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit zur Authentizität der Aufgabenwahrnehmung legitim sind und ihnen kein diskriminierender Charakter innewohnt. Gleiches gilt, wenn ein Vertrauensverhältnis zu einer bestimmten Gruppe erforderlich ist und dieses erfordert, dass der fragliche Arbeitnehmer selbst dieser Gruppe angehört.“ [2]
Schon vor einigen Jahren entschied das BAG, dass es rechtens ist, nur Frauen als Gleichstellungsbeauftragte zu suchen. Die Begründung: „Für die Tätigkeit einer Gleichstellungsbeauftragten ist das Geschlecht wesentliche und entscheidende Anforderung, wenn die Haupttätigkeit in der Beratung von Frauen mit speziellen Problemlagen besteht.“ [3] Bis heute ist es üblich, Stellenanzeigen in diesem Bereich entsprechen zu formulieren. Erst im Jahr 2023 wies das LAG Niedersachsen die Klage einer nicht-binären Person ab, die als Mann geboren wurde. Auch hier wurde auf das Schamgefühl der ratsuchenden Frauen verwiesen.
Sollten Sie sich bei der Besetzung von Stellen auf bestimmte Personengruppen beschränken wollen, können Sie an einigen Stellschrauben drehen. Allerdings sollten Sie sorgfältig prüfen, wie Sie AGG-konform argumentieren. Ein einfacher Verweis darauf, dass die Kundinnen es so wollen, reicht nicht. Und mal ehrlich: Ob die Zahnarzthelferin oder der -helfer den Zahnstein entfernt, ist doch eigentlich egal. Hauptsache, Sie können wieder strahlen.
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